Pflegebegutachtung per Hausbesuch oder digital: Begutachtung muss verlässlich sein!

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Sehr geehrte Damen und Herren,

das Anliegen des Antrags ist wichtig und klingt gut. Nutzen wir den Digitalisierungsschub durch Corona auch im Bereich der Pflege. Nutzen wir smarte Angebote gerade dort wo wir in Zukunft gesteigerte Bedarfe sehen werden. Da bin ich ganz bei Ihrem Antrag: Die Potentiale digitaler Angebote gerade für ein Flächenland wie Sachsen-Anhalt sind enorm. Sie können die Erreichbarkeit von Leistungen zum Beispiel im Bereich der Beratungsangebote deutlich steigern und auch die Arbeitswelt im besten Sinne flexibilisieren. Aber die Digitalisierung ist kein Allheilmittel. Ob der sensible Bereich der Begutachtung von Pflegebedarf wirklich für digitale Lösungen geeignet ist, da stellen sich mir durchaus noch Fragen. Und nicht nur mir. Der Sozialverband Deutschland etwa formuliert in seiner Stellungnahme zur damaligen Verlängerung der Regelungen gemäß § 147 des SGB 11:

„In der Pandemie ist eine Zunahme an Widerspruchsverfahren zur Pflegebegutachtung und eine längere Verfahrensdauer festzustellen. Aus den Rückmeldungen der SoVD-Rechtsberatungsstellen wissen wir ,(…) Gerade im persönlichen Gespräch und der Inaugenscheinnahme können Gutachter*innen entscheidende Erkenntnisse zum Grad der Selbstständigkeit wahrnehmen und erfassen, die bei einer Begutachtung am Telefon oder nach Aktenlage im Verborgenen geblieben wären bzw. sind.“ 

Und der Geschäftsführer des Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände der Krankenkassen – dem bis Ende 2021 so existierenden MDS – Dr. Peter Pick stellt in einer Pressemitteilung des MDS im März 2021 fest: „Der persönliche Hausbesuch ist und bleibt das beste Verfahren in der Begutachtung.“ 

Überdies suggeriert ihr Antrag, dass die Begutachtungen in der Pandemiezeit regelhaft außerhalb des Wohnumfeldes erfolgten und wir somit auf 2 Jahre Praxiserfahrung zurückschauen können. Das trifft aber so nicht zu. Ausgesetzt war die zwingende Begutachtung im Wohnumfeld nur für den Zeitraum von Oktober 2020 bis Anfang März 2021. Seit dem 27. März 2021 gelten ist die Begutachtung ohne Befunderhebung im Umfeld des Versicherten nur noch möglich, ”wenn dies im Einzelfall zur Verhinderung eines besonders hohen Risikos einer Ansteckung mit dem Sars-CoV-2-Virus zwingend erforderlich ist. In diesen Ausnahmefällen kann die Pflegebegutachtung anhand vorliegender Unterlagen und als strukturiertes Telefoninterview erfolgen.“ („Bundesweit einheitliche Maßgaben des Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände der Krankenkassen für Begutachtungen zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit im Rahmen der Covid-19-Pandemie nach § 147 Abs.1 Satz 3 SGB XI”)

Dass die beschiedenen Pflegegrade vor und nach Einführung des § 147 in etwa vergleichbar geblieben sind wie sie in ihrer Begründung ausführen, könnte also schlicht an dem Umstand liegen, dass ein Großteil der Erhebungen weiterhin im Wohnumfeld erfolgt ist. 

Auch frage ich mich: Was ist mit den Beratungsbesuchen nach § 37 Absatz 3 SGB XI?! Auch diese konnten zeitweise gemäß § 148  SGB XI ohne Besuch in der Häuslichkeit stattfinden. Diese Regelung lief im März diesen Jahres aus. Aber im Sinne ihres Antrags sollte man doch auch dies weiterhin und generell ermöglichen, oder nicht?!

Die LIGA würde dies begrüßen. In deren Stellungnahme zur „Dritten Verordnung zur Verlängerung von Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der pflegerischen Versorgung während der Pandemie“ heißt es: „Des Weiteren begrüßen wir, dass die Beratungsbesuche nach § 37 Absatz 3 SGB XI gemäß §148 SGB XI weiterhin auf Wunsch des Pflegebedürftigen telefonisch oder digital stattfinden können. Dies hat sich bewährt und es sollte überlegt werden, auch nach der Krise diese Maßnahme mit Ausnahme des ersten Beratungsbesuchs zu verstetigen.“

Was ich sagen möchte: ganz so einfach wie ihr Antrag es nahelegt, ist eine Entfristung der Abschaffung einer verpflichtenden Begutachtung im Wohnumfeld nicht. Aber der Ansatz ist bemerkenswert und wichtig. Daher würde meine Fraktion diesen Antrag gern überweisen und im Ausschuss mit einem Fachgespräch Chancen und Risiken abschließend bewerten. 

Vielen Dank.