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Bildungsgerechtigkeit jetzt: Bürgerrat für echte Chancengleichheit!

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Sehr geehrte Damen und Herren,

stellen Sie sich das einmal vor: Ein chancengerechtes Schulsystem in Sachsen-Anhalt. Ein Schulsystem, in dem es egal ist, ob das Kind aus einer armen oder reichen Familie kommt, wo seine Eltern geboren sind, ob sie Junge, Mädchen oder nichts von beidem ist. Ein Schulsystem, in dem alle Kinder die gleichen Chancen haben. 

Aus deutscher Perspektive ist so ein Schulsystem Utopie. In der Theorie gibt es in Deutschland zwar auf dem Papier die Durchlässigkeit des Bildungssystems, die Möglichkeit des sozialen Aufstiegs durch Bildung. Doch die Realität sieht ganz anders aus. In der Realität ist dein Bildungsweg meistens praktisch vorherbestimmt, je nachdem, in welche Familie du geboren wurdest. 

Sind deine Eltern Arbeiter*innen, die selbst nur einen Sekundarschulabschluss haben? Dann wirst du ziemlich wahrscheinlich auch einen Sekundarschulabschluss erreichen und die Chance auf ein Studium sinkt. Haben deine Eltern Abitur und studiert? Herzlichen Glückwunsch, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass auch du mal studieren wirst. Haben deine Eltern gute Jobs und genug Geld, um dir im Zweifelsfall die Nachhilfe zu finanzieren? Toll! Damit hast du die besten Voraussetzungen, einen Schulabschluss zu erreichen. Haben deine Eltern keinen Job und sind auf Sozialhilfe angewiesen? Schade Marmelade, aber statistisch gesehen sind deine Chancen auf einen Schulabschluss damit schon mal schlechter. 

Eine gute Bildung, ein guter Schulabschluss und später ein gut bezahlter Beruf. Das ist in Deutschland viel zu oft davon abhängig, ob man die Geburtenlotterie gewonnen hat – in eine Akademikerfamilie geboren wurde, in eine wohlhabende Familie geboren wurde und bestenfalls noch in eine Familie, in der alle Mitglieder weiß sind und deutsch als Muttersprache haben. 

Denn ja, auch die Chancen auf einen guten Bildungsabschluss oder überhaupt einen Bildungsabschluss in Deutschland sinken, wenn man aus einer Familie kommt, die eine Migrationsgeschichte hat oder in der Deutsch nicht als erste, sondern vielleicht erst als zweite Sprache gelernt wurde. 

Und wehe dir, dass du als Kind eine Behinderung oder Förderbedarf hast. Dann kannst du in Sachsen-Anhalt mittlerweile direkt in die Förderschule geschickt werden, mit wenigen bis gar keinen Möglichkeiten, überhaupt einen Schulabschluss zu erreichen. 

Es ist unfassbar, dass nach all den Jahren unser Bildungssystem noch immer so ungerecht ist. Seit dem Jahr 2000 führt uns die PISA-Studie die Bildungsungerechtigkeit in Deutschland als Mangel vor Augen. Und seitdem hat sich NICHTS geändert. Wir sind immer noch genauso schlecht. Wenn nicht sogar schlechter. Wir holen uns einen PISA-Schock nach dem nächsten ab. Dann gibt es einen kurzen Aufschrei, Aktuelle Debatten werden geführt und danach? Business as usual. Frei nach dem Motto: Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern.

Und dabei sieht man in anderen Ländern ganz eindeutig, dass es kein Naturgesetz ist, dass Bildung durch den familiären Hintergrund vorbestimmt ist. Die bekommen es nämlich hin. Warum wir nicht? Bildungspolitiker*innen in Deutschland, gerade die der CDU, sind da echt blind. Angetrieben von dem über allem stehenden Bildungsideal, möglichst homogene Schulen und homogene Klassen zu haben. Besessen von der Vorstellung, dass die Aufteilung der Kinder auf verschiedene Schultypen die geilste Erfindung für ein Bildungssystem ist. Blind vor den Ergebnissen von Wissenschaft und Studien, die eindeutig zeigen, dass Deutschland eben keine Bildung der Spitzenklasse hat. Weder bei den Eliten, deren Förderung man sich durch die Segregation verspricht, noch in Fragen der Gerechtigkeit.

Ein Paradebeispiel dafür ist unsere sachsen-anhaltische Bildungsministerin. Wir reisen mit dem Bildungsausschuss nach Irland. Wir sehen da, wie viel besser ein Bildungssystem funktioniert, indem Kinder die Schulzeit gemeinsam verbringen und lernen. Indem Kinder nicht nach der 4. Klasse aufgeteilt werden. Wir erleben, dass Inklusion funktioniert und eben auch nicht die Leistung der Leistungsstärksten schwächt – wie hierzulande oft behauptet wird. Erst kürzlich waren Sie mit dem Bildungsausschuss in Finnland und haben auch da gesehen, dass es ganz wunderbar klappt, wenn Kinder gemeinsam beschult werden. Und zwar von Anfang bis zum Ende ihrer Bildungskarriere. Und dann stehen Sie hier im Landtag von Sachsen-Anhalt und sagen, dass es das beste Bildungssystem – die beste Bildung für all unsere Kinder – ist, wenn wir die Grundschule bis zur 4. Klasse und ein Haufen Förderschulen haben. Und dass, obwohl wir die Listen zu Bildungsstatistiken im Vergleich der Bundesländer immer von hinten anführen und am schlechtesten abschneiden. Manchmal frage ich mich echt, ob wir hier in einem Loriot-Sketch sind. 

John Hattie, der weltweit angesehene und renommierte Bildungsforscher und Bestsellerautor hat das deutsche Bildungssystem in einem Spiegel-Interview als das ungerechteste Schulsystem, das er kennt, beschrieben. Und das kann ich so auch für Sachsen-Anhalt unterschreiben. Wir verschwenden reihenweise Talente. Talente, die wir für unsere Zukunft brauchen, weil wir Kinder unbedingt schon nach der 4. Klasse in Kategorien sortieren müssen oder sie gleich in Förderschulen stecken. Dabei zeigt die Bildungsforschung, dass Kinder in der Regel viel länger als vier Schuljahre brauchen, um ihre Fähigkeiten so weit entwickelt zu haben, dass man von außen überhaupt einschätzen kann, wie sie sich weiter entwickeln werden. 

Bildungspolitik darf nicht länger nur Mangelverwaltung im Status quo sein, die Bildung von morgen braucht Entwicklung und Modernisierung. Aber die Frage, wie wir unser Schulsystem gestalten wollen, ist eine Frage, die die gesamte Gesellschaft betrifft. Und die die gesamte Gesellschaft deshalb diskutieren sollte. Was sollen unsere Kinder lernen? Wie wollen wir sie auf die Zukunft, die sie gestalten, vorbereiten? Wie soll Schule für unsere Kinder aussehen? Die Art und Weise, wie unser Bildungssystem aufgestellt ist, das ist dann am Ende auch der Grundpfeiler unserer Gesellschaft. Das Fundament unserer Demokratie. 

Deswegen fordern wir Bündnisgrüne einen Bürgerrat, der sich mit genau diesen Fragen beschäftigt. Auf der politischen Ebene kommen wir ganz offensichtlich nicht weiter. Es prallen unterschiedliche Bildungsideologien aufeinander. Es gibt verhärtete Fronten. Seit Jahren ist es nicht möglich, für zukunftsorientierte Bildungsreformen einen politischen Konsens zu finden. Und deshalb bleibt es beim Status quo. Ein Bürgerrat könnte das leisten. Ein Bürgerrat kann eine mehrheitsfähige Vorbereitung und Grundlage für politische Entscheidungen schaffen, die dann als Anstoß und Rahmen für die Weiterentwicklung des sachsen-anhaltischen Bildungssystems dienen kann. 

Und wir meinen den Bürgerrat ernst. Denn dann muss man die Ergebnisse eines Bürgerrats auch ernst nehmen. Deshalb braucht es eine Selbstverpflichtung des Parlaments, sich mit den Ergebnissen des Bürgerrats auseinanderzusetzen. 

Der Presse konnte ich entnehmen, dass die Koalitionsfraktionen einen Bürgerrat zum längeren gemeinsamen Lernen ablehnen, weil es in dieser Legislatur keine Zeit mehr gäbe für Reformen im Bildungssystem.

Also a) Ist das ein ziemlich faules Argument. Keine Legislatur reicht alleine für die umfassenden Reformen aus, die unser Bildungssystem bräuchte. Natürlich braucht das Zeit. Mehr als 1 ½ Jahre. Auch mehr als fünf Jahre. Aber man muss eben irgendwann mal anfangen und die Verantwortung nicht immer auf die nächste Landesregierung schieben.

Und b) haben Sie anscheinend unser Anliegen nicht ganz verstanden liebe Kolleg*innen der Koalitionsfraktionen. Es geht eben nicht darum, dass wir jetzt sofort als Politik entscheiden, wie das Bildungssystem für die Zukunft aufgestellt werden soll. Es geht stattdessen explizit darum, dass es einen von einer breiten Mehrheit getragenen Vorschlag gibt. AUS der Gesellschaft. VON Bürger*innen. 

Aber dass sie den Antrag ablehnen werden, ist auch symptomatisch für ihre Bildungspolitik. Denn ihre Bildungspolitik ist geprägt von Verwaltung von Mangel und Stopfen von Löchern, die der Lehrkräftemangel hinterlässt. Und ja, natürlich ist es wichtig, den Lehrkräftemangel zu bekämpfen. Bildungsstudien zeigen aber, dass wir grundlegende Reform des Schulsystems brauchen, damit wir endlich ein wettbewerbsfähiges Bildungssystem haben. Ein Bildungssystem, in dem gute Schüler*innen weiterhin gute Leistungen erbringen und leistungsschwächere Schüler*innen bessere Chancen auf einen guten Bildungsabschluss haben. 

Wie unser Bildungssystem gestaltet wird, was wir davon wollen und was es leisten soll: Das ist eine gesellschaftliche Entscheidung, die in die Politik getragen werden muss. Darum fordern wir Bündnisgrüne einen Bürgerrat, der Reformen in der Bildung diskutiert. Bildung ist der Grundpfeiler für unsere Demokratie. Bildung ist essentiell für den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Wir Bündnisgrüne kämpfen für Schulen, die allen Kindern den bestmöglichen Bildungsabschluss ermöglichen. Damit kein Kind in unserem Bundesland mehr abgehängt wird. 

Wir bitten um Zustimmung zu unserem Antrag. Vielen Dank.