Tafeln als sozialpolitische Akutversorgung stärken

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Sehr geehrte Damen und Herren,

wenn es einen deutlichen Armutsindikator gibt, dann ist das die steigende Zahl der Tafeln in Deutschland. Deren Anzahl wächst seit Jahren kontinuierlich. Von etwa 330 Tafeln im Jahr 2003 auf aktuell über 940 bundesweit. In allen anderen Bereichen wäre solch ein Wachstum eine Erfolgsgeschichte. Bei den Tafeln hat dieses Wachstum einen sehr bitteren Beigeschmack. Denn wenn die Zahl der Tafeln seit Jahren derart steigt, dann zeigt sich damit ja nicht nur das Engagement, sondern auch der Bedarf. Zeigt sich ganz offensichtlich eine zunehmende Prekarisierung, eine Verschärfung der Armutslagen in unserer Gesellschaft. 

In Zeiten hoher Inflation und einer großen Zahl von Menschen, die auf Grund des russischen Angriffskrieges nach Deutschland kommen, verschärft sich dieser Langzeittrend. Entsprechend schießt die Zahl der Kundinnen und Kunden der Tafeln aktuell durch die Decke. Nach Informationen des Dachverbandes „Tafeln Deutschland e.V.“ ist die Zahl der Nutzerinnen und Nutzer seit Anfang diesen Jahres um 50% gestiegen. Damit nutzen aktuell über 2 Millionen Menschen dieses Angebot der zusätzlichen Lebensmittelabgabe. Dieser Zuwachs hat drastische Folgen: 32 Prozent der Tafeln mussten bereits einen Aufnahmestopp einführen. 62 Prozent verteilen kleinere Mengen an ihre Klienten. Kund*innen bekommen „ihre Tüten“ nur noch in größeren Abständen.

Gleichzeitig gehen überall, auch in Sachsen-Anhalt, die Lebensmittelspenden zurück. Im besten Fall rührt dies daher, dass die Supermärkte und Restaurants mittlerweile genauer planen und kalkulieren um Überschüsse zu minimieren. Dies zu erreichen war und ist eigentlich eines der Hauptziele der Tafeln. Nämlich der Stopp der Lebensmittelverschwendung und der bewusste Umgang mit Ressourcen. Aktuell bringt dieser Rückgang der Spenden die Tafeln aber noch weiter in Bedrängnis. 

Und diese Bedrängnis wird noch gesteigert, weil die Inflation natürlich auch die Tafeln direkt trifft. Zum Beispiel die nötige Kühlung der Lebensmittel ist stromintensiv und damit zur Zeit ein Kostentreiber. Hier wollen wir als Grüne direkt ansetzen und durch einen Landesfond den Tafeln unter die Arme greifen. Damit sie ihre wertvolle Arbeit weiterführen können und nicht in finanzielle Schieflage geraten. 

Mir ist bewusst dass das soziale Angebot der Tafeln hochgradig ambivalent ist, indem Sie den Staat vermeintlich aus der Verantwortung, nehmen Armut zu beseitigen. Indem Menschen mittels Bedarfsprüfung als „Arme“ gekennzeichnet werden – nicht umsonst ist der Gang zur Tafel für viele Menschen mit Scham verbunden – indem hier eine Form der Mildtätigkeit wirkt, die sich zwar auf eine lange Tradition etwa der christlichen Armenspeisung beziehen kann, aber eben auch Asymmetrie schafft. Im modernen Sozialstaat sind Ansprüche auf Teilhabe verbriefte Rechte jedes Bürgers und jeder Bürgerin. Bei Angeboten wie den Tafeln ist man hingegen immer auch auf den guten Willen des Gegenübers angewiesen. Einklagbare Rechte wie gegenüber dem Staat hat der Klient gegenüber der Tafeln nämlich nicht. Das ist bei einem solchen zusätzlichen Angebot ja auch weder angemessen noch sollten wir uns das wünschen. Aber gerade in Zeiten großer Bedrängnis und größeren Andrangs ist das für viele Kundinnen und Kunden schwer zu verstehen. Das führt zu zusätzlichem Druck auf die Mitarbeitenden bei den Tafeln. Der -überwiegend freiwillige-  Einsatz der Engagierten bei den Tafeln ist gerade deshalb und trotz dieses Zwiespalts gesellschaftlich wertvoll, hoch anzurechnen und ihnen gebührt großer Dank. Mildern sie doch Armutslagen. Eröffnen soziale Kontakträume. Praktizieren ganz direkt Mitmenschlichkeit. 

Darüber hinaus richten sich die Tafeln eben auch gegen einen Lebensstil der Verschwendung und des Überflusses. Lebensmittelverschwendung und das tonnenweise Wegschmeißen von Nahrung war und ist immer dekadent. Aktuell ist es angesichts der Weltlage geradezu obszön. Deshalb sind die Tafeln auch in ihrem Hauptzweck, als Akteure und Lobbyisten gegen Lebensmittelverschwendung absolut wertvoll.

Daher ist es ganz ausdrücklich nicht Ziel des Antrags und auch nicht der Wunsch der Tafeln mit Landesmitteln Lebensmittel zu kaufen, um diese zu verteilen. Das ist nicht nur nach der Satzung der Tafeln nur in absoluten Ausnahmefällen möglich, dies wäre dann auch wirklich ein Rückfall in Zeiten der staatlich finanzierten Armenspeisung. 

Wir fordern die Landesregierung auf, die Tafeln im Bereich der Sachkosten und insbesondere der Energiekosten zu unterstützen, damit sie ihre auf allen Ebenen wichtige Arbeit fortführen können.

Und ich möchte diese Gelegenheit auch nutzen, an alle Unternehmen im Land zu appellieren: bitte spenden sie überschüssige Lebensmittel an die Tafeln. Dort werden sie dringend gebraucht. 

Damit können die Tafeln kurzfristig akute Notlagen mildern. Langfristig und als nachhaltige Maßnahme gegen Armut braucht es natürlich andere Antworten. Antworten an denen die neue Bundesregierung arbeitet. Bürgergeld und Kindergrundsicherung können und sollen Armut verhindern. Damit im besten Falle die Tafeln für Bedürftige nicht mehr nötig sind.

Als Projekte zur Verhinderung von Lebensmittelverschwendung ohne dezidierten Verweis auf Armut werden sie aber auch in einem teilhabesichernden Sozialstaat sinnvoll sein. Das sehen wir heute zum Beispiel bei Initiativen wie Lebensmittel retten in Magdeburg oder auch Projekt wie die kostenfreie ada_kantine in Frankfurt Bockenheim als ein „Restaurant für Alle“ bei der jedermann und jedefrau kostenfreie Mahlzeiten, zubereitet aus geretteten Lebensmitteln, serviert bekommt. Restaurants für Alle gibt es übrigens auch heute schon bei den Tafeln, zum Beispiel das „Restaurant mit Herz“ in Quedlinburg. Lassen Sie sich die Chance nicht entgehen und probieren Sie ruhig auch als Abgeordnete einmal diese Orte der Lebensmittelrettung und des Miteinanders jenseits sozialer Stigmata aus!

Die Tafeln allein in dieser Funktion sind zugegebenermaßen noch Zukunftsmusik. Aktuell sind sie auch als Unterstützung in sozialen Härten noch dringend nötig. Lassen sie uns als Land das unsrige Tun, um die Arbeit der Tafeln zu unterstützen. 

Danke.