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Reproduktive Selbstbestimmung: Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen sicherstellen

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sehr geehrte Damen und Herren,

Am 9. März 1972 wurde in der damaligen DDR das „Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft“ verabschiedet. Es legte die Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten 12 Wochen vollständig in die Hände der Schwangeren. In der gleichen Zeit wurde in der Bundesrepublik der § 218 des Strafgesetzbuches unter dem Eindruck der 68er-Bewegung und der Stern-Kampagne von 1971 heftig öffentlich diskutiert.

Im März 1972 telefonierten zwei junge Frauen, in Medizinberufen und aus christlichem Kontext, eine aus der DDR in den Westen ausgereist, die andere dageblieben, miteinander. Die dagebliebene, Ärztin in einer staatlichen Klinik, erzählte über ihr Unbehagen mit dem neuen Gesetz. Neben ihren eigenen Wert- und Moralvorstellungen, die gegen Abtreibung sprächen, befürchtete sie, zukünftig in der Klinik von verantwortungslosen jungen Frauen überrannt zu werden, die Abtreibungen nur als eine Spätvariation von Schwangerschaftsverhütung betrachten. Ein Jahr später – die Debatte in der Bundesrepublik lief noch immer – wiederholte sich das Telefonat. Die Ärztin aus der DDR sagte nun : es sind nicht vor allem die jungen Mädchen und Frauen, die zu Abtreibungen in die Kliniken kommen, sondern Frauen, die oft schon Kinder haben, die in schwierigen Situationen stecken, die sich entscheiden müssen zwischen der Verantwortung gegenüber der ungeborenen Leben und gegenüber ihren schon geborenen Kindern. Frauen, die sich, egal wie sie entscheiden, immer schuldig fühlen werden. Und gleichzeitig sind in der Gynäkologie die fieberhaften Komplikationen deutlich weniger geworden. Die unvollständigen, selbst zugefügten Aborte, die hier in der Klinik vollendet werden mussten, um die Frauen zu retten, was viel zu oft nicht gelungen ist. Das neue Gesetz hat geholfen, Frauen nicht mehr in diese Situation, in diese Gefahr zu bringen. Diese  christliche Ärztin hat die Durchführung von Abtreibungen durch Medizinerinnen fortan und bis zu ihrem Tod als Beitrag zur Frauengesundheit gesehen.

Diese Ärztin und die Telefonate gab es wirklich. Ihre Gesprächspartnerin hat sie mir Anfang dieser Woche erzählt.

Meine Damen und Herren, die Geschichte lehrt uns vor allem eins: Wenn Schwangere eine Schwangerschaft nicht austragen können oder wollen, dann hindert sie nichts daran, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen oder durchführen zu lassen. Und das gilt auch dann, wenn sie KEINEN Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen haben. Die Geschichte zeigt stattdessen, dass der Mangel am Zugang zu medizinisch durchgeführten Schwangerschaftsabbrüchen  vor allem dazu führt, dass die Gesundheit und im schlimmsten Fall das Leben eben dieser Schwangeren gefährdet sind.   

Unabhängig davon, wie man persönlich, ethisch und moralisch zu Schwangerschaftsabbrüchen steht: der Zugang zu dieser Möglichkeit ist Teil von Frauengesundheit, weil das vor Selbstabtreibungen und Kurpfuschern schützt.

Im Schwangerschaftskonfliktgesetz werden die Länder dazu verpflichtet, „ein ambulantes und stationäres Angebot zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen sowie die entsprechenden Beratungsangebote zur Verfügung zu stellen“. Und das bedeutet: Wir haben als Land die Pflicht, sicherzustellen, dass alle Schwangeren, die ihre Schwangerschaft beenden müssen oder wollen, in Sachsen-Anhalt den Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen haben. Und zwar bei dazu ausgebildeten Ärztinnen in unseren Kliniken und Praxen. 

Aber es gibt deutliche Signale, dass wir genau diese Pflicht in Sachsen-Anhalt nicht mehr erfüllen. Und die Situation sich in Zukunft weiter verschlechtern wird. Schon jetzt müssen Schwangere in Sachsen-Anhalt teilweise lange Fahrtwege auf sich nehmen, um Kliniken oder Praxen, die Abbrüche durchführen, zu erreichen. Oder um Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen für die vorgeschriebene Beratung zu erreichen. 

Das ist eine schwierige Situation für die Gesundheit der Schwangeren in Sachsen-Anhalt, die aus verschiedensten Gründen die Schwangerschaft beenden müssen oder wollen. Denn wohin es führt, wenn ungewollt Schwangere keinen Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen haben, das sehen wir in unserem Nachbarland Polen. In diesem Land sterben Schwangere nach selbst zugefügten Abbrüchen oder sogar direkt an den Komplikationen einer medizinisch kritischen Schwangerschaft. Weil Ärztinnen verboten ist, diese Schwangeren so zu versorgen, wie sie es brauchen. Weil eine rechtspopulistische Regierung dies per Gesetz verboten hat. Und auch in einigen Bundesstaaten der USA gibt es nach der Aufhebung von Roe v. Wade im Supreme Court eine ähnliche Situation.

Nun ist die Lage in Sachsen-Anhalt selbstverständlich nicht wie in Polen oder in den USA. Denn zum Glück sind bei uns keine Rechtspopulistinnen an der Macht oder in wichtigen Entscheidungspositionen. Dennoch gibt es auch hier inzwischen nur noch wenige Ärztinnen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Und es werden auch nicht genügend Ärztinnen ausgebildet, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen können. Das beklagen im Übrigen vor allem Medizinstudierende selbst. Und daran MÜSSEN wir etwas ändern. 

Wir sollten zum Beispiel dafür sorgen, dass wenigstens in unseren landeseigenen Kliniken Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden und ein regelhafter Teil der Fachärztinnenausbildung sind. Um das sicherzustellen, muss die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen, nicht nur bei medizinischer und kriminologischer Indikation, sondern auch nach der Beratungsregelung ein fester Teil der in der Stellenausschreibung festgeschriebenen Aufgabenbereiche sein, wenn Gynäkologinnen in den landeseigenen Kliniken neu eingestellt werden. 

Unsere Kleinen Anfragen zu Schwangerschaftsabbrüchen in Sachsen-Anhalt haben ergeben, dass nicht mal die Landesregierung aktuell einen genauen Überblick hat, welche Kliniken und Praxen diesen Eingriff durchführen. Eigentlich ein Unding, da dies auch die Einschätzung erschwert oder sogar verunmöglicht, ob wir als Land unserer gesetzlichen Pflicht nachkommen, Schwangeren den Zugang zu einem sicheren Schwangerschaftsabbruch zu ermöglichen. Aber auch schwierig, weil die Schwangeren sicherlich noch schwerer an solche Informationen gelangen. 

Deswegen brauchen wir dringend ein öffentlich einsehbares Verzeichnis, in dem die Informationen dazu enthalten sind, in welchen Kliniken und Praxen in Sachsen-Anhalt Schwangerschaftsabbrüche nach welchen Methoden durchgeführt werden. Und natürlich muss auch weiterhin das Ziel sein, die Kliniken, Praxen und Frauenärztinnen vor Angriffen und Belästigungen durch radikale Gruppen wie die so genannten Lebensschützer zu schützen. Wir sind deswegen froh, dass die Bundesregierung an diesem Problem bereits dran ist und ein Gesetz gegen die so genannte Gehsteigbelästigung plant. 

Nach der aktuellen gesetzlichen Lage müssen alle ungewollt Schwangeren sich bei einer Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle beraten lassen, bevor sie einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen können. Egal wie man zu dieser Beratungspflicht steht und egal wie und in welchem Gesetzbuch der Schwangerschaftsabbruch in Zukunft geregelt sein wird, wir werden immer Beratungsstellen brauchen, an die sich Schwangere im Konflikt wenden können. Doch damit die Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen vernünftig arbeiten können, müssen sie entsprechend finanziert werden. Wenn man mit den Trägern dieser Beratungsstellen spricht, dann haben diese den Eindruck, dass dies momentan nicht so ist. Deswegen fordern wir von der Landesregierung, die Schwangerschaftskonfliktberatung tatsächlich auskömmlich zu finanzieren. 

Und natürlich muss und bleibt weiterhin das oberste Ziel, dass ungewollte Schwangerschaften vermieden werden. Dafür braucht es einen guten Sexualkundeunterricht, welcher auch stattfindet und nicht aufgrund des Lehrerinnenmangels ausfällt. Wir wollen deswegen von der Landesregierung, dass diese den Sexualkundeunterricht stärkt und eine öffentliche Kampagne im Bereich der Prävention von ungewollten Schwangerschaften initiiert. 

Ich habe im Vorfeld zu diesem Antrag viele Gespräche geführt, zum Beispiel mit Medizinstudierenden und natürlich auch mit zahlreichen Gynäkologinnen.

Besonders eingebrannt hat sich bei mir das Gespräch mit einer praktizierenden Frauenärztin. Sie ist selbst Katholikin. Sie führt aus religiösen Gründen keine Schwangerschaftsabbrüche durch. Dennoch hat sie betont, dass Sie jeder Schwangeren hilft, die einen Schwangerschaftsabbruch benötigt. Das sie ihnen dabei hilft, Konfliktberatungsstellen und Ärztinnen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, zu finden. Dass es selbst für sie immer schwieriger wird, ihren Patientinnen zu helfen, weil die Anzahl an Kliniken und Praxen immer weiter abnimmt. Und genau deswegen sagt selbst sie: Paragraf 218 muss weg! Und warum? Weil es Schwangere kriminalisiert, weil es Ärztinnen kriminalisiert und letztendlich dazu führt, dass Schwangere keinen sicheren Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen haben. Weil ihr die Gesundheit der Schwangeren wichtiger ist als ihre religiösen Ansichten. Weil auch sie der Überzeugung ist, dass Schwangere die Möglichkeit haben müssen, Schwangerschaften beenden zu können. Und weil es bei Schwangerschaftsabbrüchen letztendlich nicht um Religion geht und auch nicht um Moral, sondern um Gesundheit. Und weil die aktuelle Regelung als Konsequenz hat, dass viele Ärztinnen aufgrund der Angst davor kriminalisiert zu werden, keine Schwangerschaftsabbrüche anbieten.

Sehr verehrte Mitglieder der Landesregierung, deswegen fordern wir Bündnisgrüne Sie auf, setzen Sie sich auf Bundesebene dafür ein, dass Ärztinnen und Schwangere aufgrund eines Gesundheitseingriffes nicht mehr kriminalisiert werden. Kämpfen Sie mit uns Bündnisgrünen gemeinsam dafür, dass der Schwangerschaftsabbruch endlich außerhalb des Strafgesetzbuches geregelt wird. 

Es geht uns Bündnisgrünen in unserem Antrag darum, die Gesundheit von Frauen, von allen Schwangeren, in unserem Bundesland zu schützen, die, aus welchen Gründen auch immer, einen Schwangerschaftsabbruch benötigen. Schwangerschaftsabbrüche sind ein wesentlicher Bestandteil der Frauengesundheit und müssen so auch behandelt werden. Setzen Sie sich mit uns gemeinsam dafür ein, dass alle Schwangeren in Sachsen-Anhalt einen sicheren Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen haben. 

Wir bitten Sie, unserem Antrag zuzustimmen. 

Vielen Dank.