Rede

Pflege in der Pandemie: Zwischen Verantwortung, Ausgrenzung und politischem Versagen

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Sehr geehrte Damen und Herren,

persönlich war ich nicht gefragt politische Entscheidungen zu treffen als damals die Coronapandemie über uns kam, ich war im Klinikum und habe wie all meine Kolleg:innen schlecht ausgerüstet und hoch unsicher angesichts dieser komplett neuen Herausforderung standgehalten. Mit selbstgenähten Masken sind wir für unsere Patient:innen da geblieben, als alle zu Hause bleiben sollten. Und wir waren auch noch da, als sich ein Teil der Leute zuhause aus Überforderung und Langeweile krude Verschwörungen ausgedacht haben. Und wir waren da, als wir beklatscht und mit Cremedosen beschenkt wurden. Und auch noch als wir bedroht, beschimpft und von Rechtsextremen instrumentalisiert wurden. Wir haben uns überwiegend impfen lassen. Nicht alle ohne Unsicherheit, aber die meisten im Vertrauen auf moderne Medizin und in dem Willen unsere Patient:innen und uns selbst zu schützen. Wir haben Kolleg:innen verloren an das Virus. 

Aber ich habe eine Vorstellung wie schwierig und herausfordernd diese politischen Entscheidungen gerade im Laufe des Jahres 2020 waren, als eben auch wir Grünen in der Kenia-Koalition direkt in der Verantwortung waren, Entscheidungen zu treffen. Entscheidungen in einer völlig neuen, nie dagewesenen Situation. Entscheidungen mit einer zuvor nicht denkbaren Eingriffstiefe in das alltägliche und höchstpersönliche Leben unserer Bürgerinnen und Bürger. Entscheidungen, die aber auch ganz konkret über Leben und Tod entschieden. Anfangs gab es kaum wissenschaftlich belastbare Erkenntisse. Viel zu wenig Schutzmasken. Keine Tests. Keine Impfungen. Ein Blindflug und dennoch waren politische Entscheidungen notwendig. Weil das das Wesen von Verantwortung ist.

Viel herausfordernder kann Politik im Grunde nicht sein. Umso größer war ganz gewiss die damalige Ungewissheit, ob die getroffenen Entscheidungen sich als  angemessen und richtig erweisen würden. 

Das haben mir meine Fraktionskolleg*innen, die damals unmittelbar dabei waren sehr eindringlich geschildert. Und ja, da ist auch Aufatmen und Erleichterung zu spühren, wenn jetzt der Kommissionsbericht feststellt: die meisten Maßnahmen waren angemessen und nachvollziehbar. 

Aber wir als Grüne wollen auch ehrlich feststellen: Natürlich wurden im Rückblick Fehler gemacht, wir bedauern politisch und persönlich zutiefst, dass manche Menschen hierzulande in der Stunde des Todes oder im Rahmen einer langen schweren Krankheit von ihren Liebsten zwangsweise getrennt wurden. Das hätte so nicht gemacht dürfen. Dafür muss man sich bei den Menschen, dafür können auch wir uns nur entschuldigen. 

Und da muss für die Zukunft unmissverständlich eine differenzierte Abwägung versprochen werden. Letztlich ist es ein Abwägen zwischen dem Wert des blanken Lebens, denn um dessen Schutz ging es immer bei den Kontaktverboten gerade in stationären Pflegeheimen. Und dem Wert eines menschenwürdigen Lebens und Sterbens. Und als soziales Wesen gehört dazu auch der Kontakt zu den Nächsten und Liebsten. 

Wir bewegen uns hier in den Grenzbereichen der Ethik. In der Abwägung von Letztbegründungen. Da ergab sich im Rückblick eine Schieflage. 

Auch die Vereinzelung junger Menschen ging deutlich zu weit. Die Absperrbänder um Spielplätze sind ein tragisches Bild von Fehlentscheidungen. Wir haben das damals auch frühzeitig im Kabinett angesprochen. Uns ging manches zu weit. Für den Bereich der Schule war unsere Position, diese mit Luftfilteranlagen in Klassenräumen auszustatten, um den Unterricht vor Ort zu ermöglichen. Es hätte Firmen auch hier im Land gegeben, das zu realisieren. Aber auch flexible und funktionierende Möglichkeiten zur Distanzbeschulung bei nötigen Schulschließungen oder individuell besonderer Vulnerabilität. Für viele Eltern – und auch da speche ich aus persönlicher Erfahrung – waren die Phasen von ständig durch die Schulen laufenden Infektionswellen und damit verbundenen Unsicherheiten, Unterrichtsausfällen und Sonderregeln viel schwieriger zu organisieren, als die wenigen Phasen organisierten Distanzunterrichts. 

Gerade für mich persönlich ein wirklich bitterer Fehler, der heutigen Landesregierung: die berufliche Pflege mit ihrer Expertise außen vor zu lassen beim Pandemiestab und der wissenschaftlichen Beratung. Und zwar nicht aus beruflicher Eitelkeit, sondern weil damit eine der relevantesten Perspektiven fehlte. Und möglicherweise ist ein Teil, der nun vorgestellten Versäumnisse genau darauf zurück zu führen. Wer bitte war denn an vorderster Front mit der Pandemie befasst? Welche Profession hat denn vom ersten Tag an unter den Pandemiebedingungen gearbeitet? Richtig die Pflege. Immerhin war Prof. Meyer Teil der Kommission. Immerhin war die Pflegewissenschaft zumindest bei dieser Nachbetrachtung direkt eingebunden. Ich habe es hier an diesem Redepult schon mehrfach gefordert: die Pflege braucht endlich Anerkennung als eigenständige Profession. Als evidenzbasierte Wissenschaft. Wer die Pflege ignoriert und als Hilfsjob deklassiert, tut allen meinen Kolleg*innen unrecht. Wer Pflege nur als Herzensjob begreift und nicht als kompetenzbasierte Handlungswissenschaft hat nichts begriffen und lässt wissenschaftlichen Fortschritt in diesem Bereich brach liegen. Ich baue sehr darauf, dass Corona zumindest dieses Verständnis geschärft hat. Dass dem Klatschen für meine Kolleg*innen eben auch Akademisierung, Professionalisierung und politische Teilhabe folgen. 

So berechtigt dieser Blick zurück ist, so formuliert der Kommissionsbericht völlig zu recht: „Die Rückschau auf die Coronapandemie ist somit über die damit verbundene Ableitung von Erkenntnissen auch als präventive Vorausschau auf ähnliche zukünftige Ausnahmesituationen zu verstehen.“

Es gilt, für die Zukunft besser gewappnet zu sein. Denn realistischerweise ist es nicht die Frage, ob wir nochmal eine Pandemie erleben, sondern wann. Und für diese sicherlich kommende Situation, da hat uns der Bericht klare Hausaufgaben aufgetragen. Daher unterstützen wir natürlich den Antrag der Linken. Die Aktuelle Debatte der FDP führt ja zu nichts. Es ist übrigens irgendwie weird, eine Aktuelle Debatte zu überschreiben mit der Aufforderung aus dem Bericht müssen Handlungen folgen, in dem Wissen, dass aus Aktuellen Debatten per se eben kein Handeln, kein Beschluss folgt.

Auf der to do liste des Landes sollten jetzt ganz oben stehen: 

Pandemie-Governance

Pandemie-Plattform

Pandemie-Regelungen

Pandemie-Kommunikation

Dazu bedarf es jetzt gar nicht großer Ausführungen, das kann man alles wohl formuliert im Bereich nachlesen. Nun müssen diese Aufgaben stringent abgearbeitet werden. Der Prozess hin zu diesen Zielen braucht ein Monitoring und natürlich müssen Zwischenergebnisse und zeitliche Fristen regelhaft in den Ausschüssen des Landtages vorgestellt werden. Und wer auch immer die nächste Landesregierung stellt: das alles muss sich natürlich auch in einem nächsten Koalitionsvertrag finden. Mit uns wird es das auch. Ich denke, allen demokratischen Parteien wird es daran gelegen sein, durch die nächste Pandemie vorbereitet und resilient zu kommen. Die anderen würden wahrscheinlich am liebsten aus der WHO austreten und es Donald Trump und Javier Milie nachmachen. Mir sind die pseudo-kritischen Nachfragen von Herrn Siegmund bei der WHO in Kopenhagen, als wir mit dem Sozialausschuss dort waren, noch klar im Ohr. Schuster bleib bei deinen Rappen – also beim Raumduft – dachte ich mir da damals.   

Ich möchte die folgenden sehr diplomatische Formulierung des Berichts gerne in klare Worte fassen: „Die entstehenden Interpretationsräume wurden von einzelnen Gruppen und manchen Medienvertreterinnen und -vertretern ausgenutzt, um Aufmerksamkeit zu erlangen, Profit zu erzielen oder Zweifel an wissenschaftlichen Erkenntnissen und politischen Entscheidungen zu streuen. Statt die für Resilienz notwendigen Emotionen wie Zuversicht und Vertrauen wurden vor allem Angst, Wut und Hass angesprochen.“

Diese Kritik verehrte AfD richtet sich ausdrücklich an Sie. Ihre Hetze, ihre Fake News, ihr penetrant zur Schau getragenes Besserwissertum abseits jeder wissenschaftlichen Kompetenz, war Öl ins Feuer von Verschwörungstheoretikern und den sogenannten Querdenkern. Hauptsache sie können ihr Zerrbild von „denen da oben“ malen, Misstrauen gegen die Institutionen unseres demokratischen Staatswesens schüren, Wissenschaft diskreditieren. Sie sprechen halt gerne die niederen Beweggründe des Menschen an. Häme, Hass, Niedertracht, Ressentement, Misstrauen. Immer irgendwie schwierig. In Pandemiezeiten fatal. Und das formuliert der Bericht sehr sehr diplomatisch.

Seriöse Politiker:innen nehmen sich auch mal zurück, wenn die Faktenlage nicht klar ist, wenn es erstmal gilt wissenschaftliche Ergebnisse zu sichten und sich mit einer gewissen Bedachtheit eine Position zu erarbeiten … aber ja ich weiß das ist nicht so ihr Ding, da wird gleich krakeelt, Meinungen herausprosaunt, Feinde markiert. 

Doppelblind Studien, statistische Signifikanzen, Präventionsparadox, Dunning-Kruger-Effekt, Bestätigungsfehler sagt Ihnen alles nichts, schon klar, aber immer schön die große Keule schwingen. Kann man machen, zeugt halt nur von kognitiver Unterkomplexheit 😊

Wer der Komplexität der Realität gerecht werden will, widmet sich jetzt politisch den Empfehlungen des Berichts, arbeitet daran, dass wir der nächsten Pandemie nicht mit leeren Händen begegnen, entwickelt Wissenstransfer, Kommunikationsgremien, Kommunikationsstrategien und Handlungspläne. Und sorgt ehrlicherweise auch unbedingt dafür, dass das Vertrauen in die Regierung nicht durch Beschaffungsskandale untergraben wird, wie es auf Bundesebene geschehen ist, und wie es zum Glück ebenfalls gerade aufgeklärt wird.

Auch dann wird eine solche Pandemie weiterhin ein große gesellschaftliche Belastung sein, aber wir können dann zumindest sagen: wir waren bestmöglich vorbereitet. Das gilt es jetzt zu gewährleisten. 

Danke.