Mehr kultursensible Bildung ermöglichen!

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Sehr geehrte Damen und Herren,

„Rassismus ist eine verbreitete Erfahrung in Deutschland. Viele Menschen werden auf verschiedene Weise mit ihm konfrontiert.“ Zu dieser Erkenntnis kommt eine aktuelle Studie des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (kurz: DeZIM).   Wie vermutlich die meisten hier im Saal wünschte ich mir, es wäre anders. Wir haben ein anderes Bild von unserer Gesellschaft und wünschen uns, in einer Welt zu existieren, in der wir Rassismus überwunden haben und niemand mehr aufgrund seiner oder ihrer Hautfarbe, Herkunft oder Kultur diskriminiert werden würde. Leider ist dies bisher in Sachsen-Anhalt, in ganz Deutschland, eben nur Wunschdenken. Denn die Realität sieht ganz anders aus. 

In der Realität geben 22 Prozent aller Menschen in Deutschland an, eigene Erfahrungen mit Rassismus und Diskriminierung gemacht zu haben. Nicht selten äußert sich Rassismus in körperlicher und verbaler Gewalt und kann lebensbedrohliche Folgen haben. Rassismus verletzt oder tötet Menschen. Rassismus kann aber auch zu bleibenden Schäden der psychischen Gesundheit führen. Doch nicht immer drückt sich Rassismus durch körperliche oder verbale Gewalt aus. Oftmals zeigt sich Rassismus auch durch unbewusste oder bewusste Diskriminierung im alltäglichen Leben.

Rassismus kann schon die Jüngsten betreffen. Und leider sind auch Schulen für von Rassismus betroffene Kinder und Jugendliche nicht immer ein sicherer Ort. Auch dort können sie verbale und körperliche Angriffe erleben. Und auch dort erleben junge Menschen unbewusste oder bewusste Diskriminierung. So zeigt zum Beispiel eine andere Studie des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung, dass Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund in den Fächern Deutsch und Mathematik bei gleicher Leistung durchschnittlich schlechter benotet werden und seltener eine Gymnasialempfehlung erhalten als Kinder ohne Migrationshintergrund, trotz gleichwertiger  Leistung. 

Eine kultursensible und bewusst rassismuskritische Bildungslandschaft hilft, Rassismuserfahrung zu reduzieren. Sie sorgt für mehr Bildungsgerechtigkeit und trägt zur Überwindung rassistischer und diskriminierender Vorurteile und Stereotypen in unserer Gesellschaft bei.

Ein essentieller Bestandteil einer kultursensiblen Bildung ist die Förderung der interkulturellen Kompetenz in den Schulen. Denn unsere Schulen und insbesondere die Lehrkräfte dort, tragen einen großen Teil zur Entwicklung unserer Kinder und Jugendlichen bei. 

Um es ganz deutlich zu machen: ich möchte auf keinen Fall suggerieren oder implizieren, dass alle Lehrkräfte in unserem Bundesland sich mit böser Absicht diskriminierend gegenüber Schülerinnen und Schülern verhalten. Denn das Gegenteil ist der Fall, die Lehrkräfte und alle Mitarbeiter*innen an Sachsen-Anhalts Schulen geben seit 2015, aber auch jetzt zu Zeiten des Angriffskrieges auf die Ukraine, alles, damit die schulische Integration von geflohenen Schülerinnen und Schülern gelingt. An dieser Stelle möchte ich, stellvertretend für meine Fraktion, mein ausdrückliches Dankeschön an all die Lehrkräfte, Schulsozialarbeiter*innen, Schulleitungen und alle anderen Beteiligten richten, die sich tagtäglich darum bemühen, dass alle Schülerinnen und Schüler, egal welcher Herkunft, sich in unseren Schulen willkommen fühlen und erfolgreich sind.

Dennoch sind alle Menschen, auch wir hier in Sachsen-Anhalt, als Teil der weißen Mehrheitsgesellschaft durch rassistische Stereotype und Zuschreibungen geprägt und reproduzieren sie vielfach, oft unabsichtlich. Deswegen kann es uns allen passieren, dass wir Menschen anderer Hautfarbe, anderer Kultur oder anderer Herkunft anders behandeln oder in irgendeiner Form diskriminieren. Die meisten von uns machen das ohne böse Absicht beziehungsweise ohne bewusst so zu handeln. Wir wissen es oft einfach nicht besser. Als Teil unserer Gesellschaft trifft das auf Lehrerinnen und Lehrer genau so zu, wie auf Mediziner*innen, Busfahrer*innen, Pflegekräfte oder Landwirte. Aber sie tragen eine besondere Verantwortung an dieser Stelle.

Wir als Gesellschaft haben sicher zu stellen, dass Kinder und Jugendliche unabhängig von ihrer Herkunft, Hautfarbe oder ihrem kulturellen Hintergrund die gleichen Bildungschancen haben. Eine Grundvoraussetzung dafür ist es, angehenden und ausgebildeten Lehrkräfte im Bereich Antidiskriminierung, Antirassismus und Kultursensibilität zu sensibilisieren. Dazu braucht es verpflichtende Lehr- und Lernangebote für Lehramtstudierende und für das Referendariat, aber auch Fortbildungsangebote im Rahmen der verpflichtenden Fortbildungen für die Lehrkräfte, die bereits an unseren Schulen unterrichten. Übrigens fordern dies eigentlich auch sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen. Denn sie haben sich in ihrem Koalitionsvertrag auf die verpflichtende Vermittlung „interkultureller Kompetenz“ in der Ausbildung von Lehrkräften geeinigt. Gerne erinnert Sie die bündnisgrüne Fraktion – als Service-Opposition – an dieses von ihnen gesetzte Ziel. 

Mit den Fortbildungen in diesem Themenbereich möchten wir Bündnisgrüne den Lehrkräften das notwendige Werkzeug geben, mehr Wissen, sicherere Kompetenzen. Gleichzeitig ermöglichen die Fortbildungen auch, dass Lehrkräfte besser darin geschult werden, interkulturelle Kompetenz an die Schülerinnen und Schüler zu vermitteln.

Für alle Fortbildungsangebote für Lehrkräfte ist das Landesinstitut für Schulqualität und Lehrerbildung Sachsen-Anhalt – LISA – zuständig, das zahlreiche Fortbildungen in großer und relevanter Vielfalt anbietet und dessen Kapazitäten gut ausgelastet sind. Dennoch beträgt der Anteil an Fortbildungen für Lehrkräfte im Bereich Antirassismus und Kultursensibilität gerade mal zwei Prozent im Vergleich zum restlichen Angebot. Die Nachfrage ist übrigens doppelt so hoch. Um der Notwendigkeit der Fortbildungen in diesem Bereich gerecht zu werden, müsste das Angebot deutlich erhöht werden. 

Es ist sinnvoll, dafür im Land vorhandene Ressourcen zu nutzen, und das Fortbildungsangebot in Kooperationen auszubauen. Gut vorstellbar ist hier zum Beispiel die Landeszentrale für politische Bildung Sachsen-Anhalt, schließlich hat sie genau diese Aufgabe bis in die 2000er Jahre auch erfüllt. 

Sprache beeinflusst und formt unser Denken. Sie beeinflusst zum Beispiel auch, mit welchen Charaktereigenschaften und Zuschreibungen wir bestimmte Personengruppen verbinden. Es muss deshalb ein essentieller Bestandteil von moderner Bildung sein, dass in den Schulen im Unterricht auf diskriminierende Sprache und Darstellungen in Lehr- und Lernmitteln verzichtet wird. Wir schlagen deshalb vor, dass im Bildungsministerium eine Anti-Bias-Stelle eingerichtet wird. Bias ist das englische Wort für Vorurteil. Es soll also eine Stelle sein, die sich mit allen Diskriminierungsformen befasst, die Schülerinnen und Schüler sowie das Schulpersonal betreffen können und auf Basis dieses Wissens die Lehr- und Lernmaterialen systematisch auf diskriminierende Sprache und Gestaltung überprüft. 

Doch Bildungserfolg und Bildungsgerechtigkeit hängen nicht nur allein von Lehrerinnen und Lehrern ab. Tatsächlich können Eltern einen großen Anteil zum Schulerfolg beitragen. Unterstützung bei den Hausaufgaben, Teilnahme an Schulveranstaltungen und Elternabenden sowie die Mitarbeit in schulischen Gremien. Die Möglichkeiten, wie Eltern sich im Schulalltag beteiligen können, sind vielfältig. Leider fällt diese Beteiligung Eltern mit Migrationshintergrund oft schwer. Denn häufig fehlt es an dem notwendigen Wissen und an eigenen Erfahrungen im deutschen Bildungssystem. 

Es ist deswegen wichtig, im Land Konzepte für die gezielte Ansprache und Beteiligung migrantischer Eltern zu entwickeln und umzusetzen. 

Wenn es zu rassistischen und diskriminierenden Vorfällen an Schulen in Sachsen-Anhalt kommt, egal ob gegenüber Schülerinnen und Schülern, den Lehrkräften oder dem weiteren Schulpersonal sowie den Eltern brauchen die Betroffenen die Gewissheit von struktureller und strukturierter Hilfe.

Bisher sind alle Beteiligten an den Schulen bei solchen Vorkommnissen auf sich selbst gestellt. Hilfe und Auseinandersetzung mit der Situation funktioniert – je nach den Erfahrungen und der Situation an der jeweiligen Schule – oder sie funktioniert nicht. Deswegen brauchen wir in Sachsen-Anhalt unabhängige Beschwerdestellen für Diskriminierungs- und Rassismusvorfälle an Schulen, an die sich Eltern, das Schulpersonal und Schülerinnen sowie Schüler wenden können.

Lassen Sie uns jetzt hier im Landtag gemeinsam den Grundstein dafür legen, dass jedes Kind und jede und jeder Jugendliche in Sachsen-Anhalt unabhängig von der Herkunft, der familiären Migrationsgeschichte oder dem kulturellen Hintergrund die gleichen Chancen in unseren Schulen hat. Setzen Sie sich gemeinsam mit uns dafür ein, dass Antidiskriminierung, Antirassismus und Vielfalt an unseren Schulen gestärkt werden. Kämpfen Sie mit uns gemeinsam für mehr kultursensible Bildung an unseren Schulen in Sachsen-Anhalt!

Wir bitten um Zustimmung zu unserem Antrag.

Vielen Dank.