Krankenhausfinanzierung auf neue Füße stellen. Solide Grundfinanzierung statt Fallpauschalen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

es tut mir leid, ich kann eine Rede zu “Krankenhäusern in Not” im Moment nicht beginnen, ohne über Ballenstedt zu sprechen. Die Lunkenklinik in Ballenstedt, hochspezialisiert und -anerkannt, nicht nur in der Pandemie unverzichtbarer Bestandteil der Versorgung der Bevölkerung, große Arbeitgeberin vor Ort und auch Identifikationsanker. Sie ist so eine “Klinik in Not”. Weil mit der Spezialisierung die Möglichkeit fehlt, über Querfinanzierung durch lukrative Behandlungen Defizite auszugleichen, weil wie überall, Vergütungen bei steigenden Kosten nicht einfach angepasst werden können, und auch, weil das Personal immer knapper wird. Nicht alles davon würde sich mit einfach mehr Geld lösen lassen, es wird auch Strukturänderungen brauchen. Aber ob gerade eine so spezialisierte Fachklinik sich einfach so zerteilen und örtlich verlegen lässt, ob die anerkannte Fachlichkeit bestehen kann, wenn die Struktur zerschlagen wird, daran haben zu Recht nicht nur meine Kolleginnen vor Ort Zweifel. Für die zweifelsohne in unserem Gesundheitswesen nötige Um- und Neustrukturierung muss nicht nur in Ballenstedt gelten: fachliche und Versorgungs-Überlegungungen müssen unbedingten Vorrang vor Marktmechanismen haben.

Wir haben eine Bundesregierung, die damit angetreten ist, eine Fortschrittskoalition zu sein. Nach 16 bleiernden Merkeljahren war und ist das auch dringend nötig. Gerade im Bereich der Gesundheitsversorgung und noch einmal besonders dringend im Bereich der Krankenhäuser.

Nach 16 Jahren des Rumdoktorns und der reinen Symptombekämpfung durch meist CDU-Minister haben wir jetzt endlich einen Gesundheitsminister, der das Problem klar benennt, der endlich die richtige Diagnose stellt, die da lautet: Die vormaligen Bundesregierungen haben es mit der Ökonomisierung des Gesundheitssystems zu weit getrieben. 

Markmechanismen sind im Bereich der Gesundheit in vielen Fällen dysfunktional. Gesundheit ist keine Ware. Krankenhäuser keine reinen Wirtschaftsunternehmen. Die Fallpauschalen waren bei ihrer Einführung ein sinnvoll erscheinender Gegenentwurf zu einer Krankenhausfinanzierung mit kostenintensiven Fehlanreizen für lange Krankenhausaufenthalte. Aber schon zeitig hat sich gezeigt: sie haben nur andere Fehlanreize geschaffen, mindestens ebenso kostenintensiv, aber viel schwieriger für Behandlungen und Kliniken. Wenn man ein Finanzierungssystem strickt, das über Fallpauschalen funktioniert, also die Behandlung von Patientinnen und Patienten mit einem jeweiligen Geldwert hinterlegt, dann löst man eben auch problematische Dynamiken aus.

Krankenhäuser fokussieren sich dann auf besonders lukrative Behandlungsfelder. Und das kritisieren zu Recht die Kassen. Stichwort: Angebotsinduzierte Nachfrage. Will heißen: die Fallzahlen ergeben sich nicht aus einer objektiv-quantitativen Menge an entsprechenden Krankheitsfällen, sondern je häufiger eine Leistung angeboten wird, desto häufiger wird sie eben auch geleistet. Wie im Lehrbuch beobachtbar und oft beschrieben bei künstlichen Hüftgelenken, Rücken-Ops, MRT-Untersuchungen….

Man setzt via DRG´s also Fehlanreize für überflüssige oder zumindest nicht 100% notwendige oder nicht medizinisch sinnvollste Behandlungen und errichtet damit einen Zielkonflikt zwischen ärztlicher Sicht und kaufmännischer Sicht. Wenn beispielsweise eine natürliche Geburt weniger Geld einbringt als ein Kaiserschnitt, dann freut sich die kaufmännische Leitung eines Krankenhauses über die Zunahmen von Kaiserschnitten. Aus gesundheitlicher Sicht ist das aber eine problematische Entwicklung.

Gleichzeitig führt solch ein auf Fallzahlen fokussiertes System dazu, dass Krankenhäuser in dünn besiedelten Regionen mit geringen Fallzahlen und jetzt eben auch oftmals sinkenden Fallzahlen zunehmend in finanzielle Schieflage geraten.  Sie bekommen ihre Dienstleistung dann einfach nicht mehr oft genug verkauft, um profitabel zu sein. Um eine schwarze Null zu erwirtschaften.

Man kann versuchen das System punktuell zu heilen über Sicherstellungszuschläge oder die Feindifferenzierung des DRG Systems, aber letztlich ist das Symptombekämpfung.

Der Anspruch der Bundesregierung und der Grünen Fraktion ist ein anderer. Es gilt die Ursachen selbst abzuschaffen. Auf den kürzest möglichen Nenner gebracht: Weg von den Fallpauschalen hin zur Finanzierung der Vorhaltekosten.

Dort wo Krankenhäuser gebraucht werden, sollen sie die nötigen Mittel von vorneherein bekommen, ohne diese über die Abrechnung einzelner erbrachter Fälle und Leistungen zu erwirtschaften. Die betriebswirtschaftliche Betrachtung eines Krankenhauses ändert sich damit fundamental und ähnelt dann eher anderen öffentlichen Einrichtungen wie Kitas oder Musen und weniger wie bisher einem Autohaus oder einem Handyladen. Und das ist völlig angemessen, denn die Gesundheitsversorgung gehört zur Daseinsvorsorge.

Das verlangt der Politik einiges ab. Bisher hat man ja quasi das DRG-System vorgegeben und es dem Krankenhausmarkt überlassen sich passende Geschäftsmodelle zu überlegen. Die Krankenhausplanung der Länder hat im Grunde nie wirklich geplant, sondern vielmehr nur den Marktzugang geregelt.  

Wenn ich jetzt als Politik Vorhaltekosten finanziere, ist einiges mehr an Steuerung, Planung und damit auch Datenerhebung nötig. Über eine Bedarfsplanung ist zu ermitteln, welche Angebote, in welchen Umfang wo gebraucht werden. Samt entsprechenden klaren Einteilungen von Krankenhaustypen. Es sind Vorgaben zur personellen und technischen Ausstattung vorzunehmen, denn man braucht ja konkrete Grundlagen, um die Vorhaltekosten konkret beziffern zu können. 

Das ändert nicht nur die betriebswirtschaftliche Binnenperspektive der Krankenhäuser, sondern auch deren Verhältnis untereinander. Sie sind dann eben keine konkurrierenden Marktakteure mehr, um die knappe Ressource von Patientinnen und Patienten. Ihre Daseinsberechtigung ergibt sich dann nicht mehr über die möglichst häufige Abrechnung lukrativer DRG´s, sondern da wo sie sind werden sie zur Absicherung der Gesundheitsversorgung gebraucht. Das ist das grundsätzliche Signal an die Krankenhäuser, die via Vorhaltekosten finanziert werden.

Und wenn Konkurrenz endet, kann Kooperation beginnen.

Und damit sind wir bei zentralen Empfehlungen des Gutachtens des Landes. Wir brauchen mehr Kooperation, mehr Planung, mehr Leistungskonzentration. Und wir brauchen einen spezifischen Ausbau von Spezialleistungen.

Diese Forderungen sind mit einem System der Finanzierung von Vorhaltekosten sehr gut übereinzubringen. Wenn mit der Optimierung von lukrativen DRG´s kein Geld mehr zu machen ist und dieses Geld eben auch nicht mehr gebraucht wird, um unlukrative DRG´s quer zu finanzieren, dann können sich Häuser in einer Region weit leichter über sinnvolle Spezialisierungen und ergänzende Angebote verständigen als bisher. 

Das verspreche ich mir mit dem von Minister Lauterbauch angestoßenen Reformprozess auf Bundesebene.

Aber klar ist: Damit lösen wir nicht die Probleme einer Absicherung der Versorgung in der Fläche. Abseits klassischer Krankenhäuser und klassischer Niederlassungen brauchen wir einen quasi intermediären Sektor. Das können die schon länger existierenden MVZ´s sein. Gerne auch in Trägerschaft von Kommunen. Das können Ansätze wie das Büsumer Modell sein. Regionale Gesundheitszentren wie es die Salus in Havelberg umsetzen möchte. Bis hin zu Rotationssprechstunden in von der Gemeinde bereit gestellten Praxisräumen von verschiedenen Fachärzten wie es etwa in Ummendorf in der Börde schon umgesetzt ist.

Für diese neuen Versorgungsformen brauchen wir Mut in der Politik neue Wege auszuprobieren. Und wir brauchen vor allem verlässliche Finanzierungswege. Auch diese Rahmenbedingungen sind auf Bundesebene in Arbeit. 

Aber neben neuen Strukturen brauchen wir auch neue Professionen. Eine weitere Akademisierung der Gesundheits- und Pflegeberufe tut Not.  Um die Versorgung der Bevölkerung auf mehrere Professionsschultern zu verteilen. Mit der Arztzentrierung im Deutschen Gesundheitssystem endlich Schluss zu machen und echte Multiprofessionalität  zu schaffen. Das ist im Übrigen auch ein Mittel gegen den Fachkräftemangel: Mehr Kompetenzzuschreibung, mehr Eigenverantwortung, mehr Karrierewege in den Gesundheits- und Pflegeberufen locken auch mehr junge Menschen in diese Berufsfelder. Da ist bundesweit gerade einiges in Bewegung, nur wir in Sachsen-Anhalt sind noch nicht so richtig auf dem Weg.

Kurzfristig geht es darum zu verhindern, dass uns Krankenhäuser im Land verloren gehen, bevor die Systemumstellung auf Bundesebene gelingt. Eine solche kalte Markbereinigung gilt es dringend zu verhindern. Zum einen in dem das Land – und dieser Apell richtet sich letztlich an alle Bundesländer – nicht aus falsch verstandenen Kompetenzgerangel und politischem Kalkül die Reform verzögert und zum anderen natürlich indem das Land den Krankenhäusern auch finanziell zur Seite steht. Mit dem Corona-Sondervermögen ist da schon einiges geleistet worden. Der nächste Haushalt wird da sicherlich weitere Ansätze vorweisen müssen, um die Krankenhaustandorte im Land zu sichern. 

Kurzfristige Struktursicherung der Krankenhäuser, mittelfristiger Systemumbau in Sachen Finanzierung und Gesundheitszentren, langfristiger Gewinn für unsere Bevölkerung. Das sind die Schritte die zu gehen sind. 

Danke.