REDE

Endlich wirksame Maßnahmen im Kampf gegen Lehrkräftemangel ergreifen. 

Sehr geehrte Damen und Herren,

Mein jüngste Tochter ist seit sehr kurzer Zeit Gymnasiastin und meinen frischen Eindruck als Schülerinnenmutter an einer weiterführenden Schule – und Gymnasien sid bekanntlich die mit der guten Unterrichtsausstattung – möchte ich mit Ihnen teilen: Am Montag fiel von 4 Blöcken einer aus, also 2 von acht Stunden (Wobei 2 davon ohnehin EVA sind), am Dienstag waren es 2 von vier Blöcken. 

Die Bildungskrise ist eine der größten Herausforderungen, die sich unserem Bundesland stellt. Und Kern dieser Krise ist der Personalmangel an unseren Schulen. Die Bekämpfung dieser Krise braucht ein Höchstmaß an politischem Willen, politischer Weitsicht und letztendlich auch Durchsetzungskraft. 

Doch daran scheint es dieser Landesregierung zu fehlen. Anders lässt es sich vieles nicht mehr erklären. Statt sich um wirkungsvolle Maßnahmen gegen den Lehrkräftemangel zu kümmern, startet die Bildungsministerin in das Schuljahr mit dem Ablenkungsmanöver geschlechtergerechte Sprache. 

Aber so wirklich geklappt hat das mit der Ablenkung dann nicht. Denn egal, wie positiv sie den minimalen Anstieg der Unterrichtsversorgung versuchen zu verkaufen, liebe Frau Feußner, dass es an Sekundarschulen nur eine Unterrichtsversorgung von circa 88 Prozent gibt, während diese an Gymnasien bei 100 Prozent liegt, ist ein Armutszeugnis. Und diese Versorgung ist – wie ich zu Beginn dieser Woche selbst eindrücklich erlebt habe – rein theoretisch. Jede Lehrerin, die kurz oder lang krank ist oder sich weiterbildet, fehlt zusätzlich. Sie haben an dieser Stelle schlichtweg ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Vielleicht hätten sie sich mehr damit auseinandersetzen sollen, wie der Lehrberuf attraktiver gestaltet werden kann, anstatt sich mit Sprachverboten an Schulen auseinanderzusetzen. 

Denn genau dies muss man tun, wenn man den Lehrkräftemangel an der Wurzel anpacken möchte. Wenn der Anspruch nicht ist, bloß die Symptome zu managen, sondern die Ursache anzugehen. Und dafür braucht man vor allem zwei Dinge: Wir müssen endlich die Arbeitsbedingungen von Lehrkräften verbessern und die Lehrkräftesausbildung reformieren.  

Um die Arbeitsbedingungen zu verbessern, braucht es natürlich finanzielle Anreize, besonders für die Leerstellen an Schulen und in Regionen, die schwer zu besetzen sind. Aber ein besseres Gehalt durch Sonderzuschläge ist eben nicht alles. Lehrkräfte müssen von allen Aufgaben entlastet werden, die nichts mit dem Unterrichten zu tun haben. Dafür brauchen wir mehr Schulpersonal wie Schulsozialarbeiterinnen, Schulpsychologinnen, Digitalcoaches, IT-Fachkräfte, Verwaltungspersonal und so weiter. Und natürlich braucht der Lehrberuf auch ein besseres Image. Und dabei hilft es übrigens nicht, wenn mit der Einführung der „Vorgriffsstunde“ das gesellschaftliche Bild der „faulen Lehrerin“, die auch mal eine Stunde länger arbeiten kann, ausgerechnet von der Landesregierung bedient wird. Ich bin gespannt auf das Ergebnis des Gerichtsverfahrens der Lehrkräfte, die zu guter Recht gegen diese Regelung geklagt haben. Und ich frage mich ehrlich gesagt auch ernsthaft, wie sie mit der Entlassung von Lehrkräften, die sich gegen diese Vorgriffsstunde und das von ihnen befeuerte Bild von Lehrkräften wehren, wie sie mit der Entlassung von auch nur einer einzigen Lehrkraft aus solchen Gründen, den Lehrkräftemangel lösen wollen.

Und auch das Lehramtsstudium in Sachsen-Anhalt gehört auf den Kopf und neu aufgestellt. Das Lehramtsstudium braucht mehr Praxis, auch unabhängig davon, ob man dual studiert oder nicht. Gleichzeitig müssen wir uns die Frage stellen, wie sinnvoll es ist, dass eine Mathelehramtstudentin auf demselben Niveau Mathe studiert wie eine Mathematikstudentin, die sich einzig und allein auf das wissenschaftliche Studium konzentrieren kann. Dass viele Lehramtsstudierende dann sagen, dass schaffe ich nicht, ich breche ab – das kann ich persönlich nachvollziehen. Und das Lehramtsstudium muss an den Menschen orientiert sein, die im Mittelpunkt des Schulsystems stehen: Den Schülerinnen. Bis dato ist das Lehramtsstudium entlang der Schulformen organisiert, an denen sie später Unterrichten wollen. Aber Lehrkräfte unterrichten Schülerinnen und keine Schulformen. Und mit Blick auf die Herausforderungen brauchen wir flexibel einsetzbare Lehrkräfte. Auch deswegen gehört das Lehramtsstudium neu strukturiert.

Und selbstverständlich gehören für eine ausreichende und gute Bildung und Unterrichtsversorgung in Sachsen-Anhalt ALLE an Bord. Die andauernde Benachteiligung der freien Schulen in unserem Land, die inzwischen mehrfach gerichtlich bemängelt wurde, muss aufhören. Freie Schulen tragen einen wichtigen Anteil an der Bildung unserer Kinder in den unterschiedlichsten Schulformen, es wird Zeit, diesen Anteil wertschätzend und auf Augenhöhe anzuerkennen und angemessen zu vergüten.

Aber eine wirkliche BildungsWENDE braucht mehr als nur den Blick auf den Lehrkräftemangel. Es braucht weitreichende Reformen und den Mut zur Veränderung: 

Denn wir müssen das Zwei-Klassen-System in unserer Bildungslandschaft abbauen. Und stattdessen den Fokus auf Gemeinschaftsschulen legen. In denen alle Kinder und ich meine wirklich ALLE, dieselben Bildungschancen haben und in einem Ganztagsschulsystem individuell gefördert werden können. In einem Ganztagsschulsystem, in dem das Recht auf schulische Bildung genauso viel Wert ist wie die informelle Bildung, Freizeitgestaltung und die Erholung. Eine Schule, in der längeres gemeinsames Lernen im Vordergrund steht. Eine Schule, die der Vielfalt unserer Gesellschaft gerecht wird. Eine Schule, in der die Digitalisierung und digitale Bildung als Chance, statt als Herausforderung begriffen wird. Das ist die Vision. Die Vision, die wir für die moderne Schule von morgen haben. Eine Schule, die von Gerechtigkeit und hoher Bildungsqualität geprägt ist.

Natürlich kann das alles nicht von heute auf morgen passieren. Deswegen ist es wichtig, dass wir Sekundarschulen so stärken, dass sie eine attraktive Alternative zum Gymnasium sind. Denn das sind sie aktuell einfach nicht, weil die Eltern dort schlechtere Bildungschancen für ihre Kinder sehen – auch und vor allem aufgrund des Lehrkräftemangels, der besonders die Sekundarschulen trifft. Und dass Eltern das Beste für ihre Kinder wollen, das können wir alle wohl nachvollziehen. Und gleichzeitig müssen wir die bereits existierenden Gemeinschaftsschulen besser unterstützen und anderen Schulen ermöglichen, sich zu Gemeinschaftsschulen weiterzuentwickeln. Denn auch sie können eine attraktive Alternative zum Gymnasium sein. Und damit alle Kinder in Sachsen-Anhalt die Chance auf einen Schulabschluss – und damit auf ein selbstbestimmtes und selbstgestaltetes Erwachsenenleben haben – brauchen wir eine grundlegende Wende beim Thema Inklusion. Mehr statt weniger gemeinsamer Unterricht in Regelschulen. Förderschulen ab- statt ausbauen und auf die wenigen Fälle begrenzen, in denen nicht die Not der mangelnden Inklusionsunterstützung an der Regelschule der einzige Grund für die Sonderschulung ist. Inklusive Beschulung ist das verbriefte Recht der Schülerinnen, sie zu organisieren ist die Pflicht unseres Schulsystems. Das ist herausfordernd, ja: aber diese Herausforderung entbindet uns nicht von dieser Pflicht!

Wir müssen das frühe Sortieren unserer Kinder nach der vierten Klasse beenden. Ich behaupte mal ganz kühn, dass wir alle nicht mehr dieselben Menschen sind wie damals, als wir in der vierten Klasse waren. Wir hatten einen anderen Fleiß und Ehrgeiz, andere Interessen, die uns begeistert haben, vielleicht sogar eine andere Einstellung zum Lernen insgesamt. Bei Kindern im Alter von 10 – 11 Jahren die intellektuelle Entwicklung und Leistungsfähigkeit, die soziale Entwicklung und den Lerneifer für die nächsten sechs bis acht Jahre so sicher vorhersagen zu wollen, dass man daraus verbindlich die Schullaufbahn ableiten könnte, ist entwicklungspsychologisch totaler Unsinn, mal ganz davon abgesehen, dass den meisten Grundschullehrer*innen die Zeit fehlen dürfte, ihre Schüler*innen auch noch individuell und einzeln entwicklungspsychologisch begutachten zu können. Und wenn es keine wissenschaftliche, sondern nur eine funktionale Grundlage hat, ist das Sortieren in der vierten Klasse absurd. Deswegen sollte die Grundschulphase wenigstens bis zur sechsten Klasse verlängert werden. Um den Kindern wenigstens ein paar Jahre mehr Zeit zu geben, sich entwickeln zu können. Und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich auch selbst mehr in den Entscheidungsprozess über ihren späteren Bildungsweg einbringen zu können. Denn das ist nur fair, schließlich ist dies eine Entscheidung, die maßgeblich ihre Zukunft beeinflussen wird!

Wir müssen Ausbildungsberufe attraktiver machen. Mit grundsätzlicher Schulgeldfreiheit und attraktiver Ausbildungsvergütung. Die Qualität der Ausbildung muss gesteigert werden und es braucht spannende Aufstiegsperspektiven für all diejenigen, die sich für einen Ausbildungsberuf entscheiden. Da sind neben dem Land vor allem auch die Unternehmen gefragt. Und natürlich müssen dabei auch die Berufsschulen in den Fokus.

Wir müssen Bildung in Sachsen-Anhalt neu denken. Egal ob es um Schule, Ganztag oder Ausbildungen geht. Wir brauchen endlich den Mut für Veränderungen. Denn Bildung ist mehr als das Verwalten des Lehrkräftemangels. Das kann uns gelingen durch moderne Konzepte, die wir gemeinsam mit allen Beteiligten entwickeln. 

Und es gilt weiterhin: Wer an der Bildung spart, der spart an der Zukunft unserer Kinder und letztendlich an der Zukunft Sachsen-Anhalts. 

Vielen Dank.