Der Lehrberuf muss attraktiver werden, und zwar von Anfang an!

Sehr geehrte Damen und Herren,

In unserem Bildungssystem stellen sich aktuell viele Herausforderungen. Es mangelt an Sturm und Drang bei der Digitalisierung, bei der Modernisierung pädagogischer Konzepte, es gibt zu wenige Schulsozialarbeiterinnen und -arbeiter… Die Liste könnte ich ewig weiterführen. Die größte Herausforderung ist aber – und das mit weitem Abstand – der anhaltende Lehrkräftemangel.  Je nach Berechnungen werden bis 2030 zwischen 14.000 und 81.000 Lehrkräfte bundesweit fehlen. Ich mag mir gar nicht ausmalen, wie viele Unterrichtsstunden dadurch wöchentlich in Schulen in ganz Deutschland ausfallen werden. Und jede einzelne ausgefallene Unterrichtsstunde verringert Bildungschancen, worunter insbesondere Kinder und Jugendliche, aber nicht nur sie, sondern auch unsere Gesellschaft leiden.

Ursache ist – neben den Fehleinschätzungen der letzten Jahre zur Entwicklung der Zahl junger Menschen in unserem Land und verschiedensten Sparmaßnahmen – auch, dass der Lehrberuf ziemlich unattraktiv ist. Besonders in Sachsen-Anhalt. Lehrerinnen und Lehrer haben hier im Land aufgrund des besonders hohen Ausmaßes des Lehrkräftemangels mit einer großen Arbeitsbelastung zu kämpfen, sie müssen regelmäßig Überstunden machen und tragen einen wichtigen Teil der Verantwortung für die Gestaltung der Zukunft von Kindern und Jugendlichen. 

Welch großen Druck das auf die engagierten Lehrkräfte in unserem Land ausübt, das liegt auf der Hand. Folge des großen Leistungsdrucks können nicht nur Überlastung, Stress und Gereiztheit sein, sondern es kann auch zu schwerwiegenden Krankheiten führen. Es ist wichtig und bemerkenswert, dass sich die Lehrkräfte dennoch jeden Tag ihren Aufgaben und Pflichten an den Schulen stellen. Deswegen möchte ich an dieser Stelle im Namen der gesamten bündnisgrünen Landtagsfraktion einen großen Dank an jede Lehrerin und jeden Lehrer in unserem Bundesland richten. Für ihren tagtäglichen Einsatz für die Bildung der jungen Menschen in Sachsen-Anhalt und das unter oft schwierigsten Bedingungen.

Um den Lehrkräftemangel erfolgreich zu bekämpfen, müssen wir als Land neue Wege gehen und nicht davor zurückschrecken, jede mögliche Maßnahme zu nutzen. Bisher zeigen die Koalitionsfraktionen und die Landesregierung, trotz der äußerst akuten Lage, wenig Ambitionen, mit vollem Einsatz dem Lehrkräftemangel entgegenzutreten. Ihre bisherigen Vorschläge zum Umgang mit der jetzigen Situation glichen eher einer Kapitulation vor der Problematik. Anstatt den Lehrkräftemangel direkt an der Wurzel anzupacken, wollen sie eher die Symptome bekämpfen. Mit Verkürzungen der Unterrichtsstunden oder gleich mit einem ganzen Tag weniger Präsenzunterricht in der Woche. Und jetzt sollen neuerdings sogar die Eltern einspringen und den Unterricht übernehmen, wenn Lehrer*innen fehlen. 

Wenn man es wirklich ernst meint mit der Bekämpfung des Lehrkräftemangels, dann darf man nicht nur die aktuelle Situation verwalten. Man muss vor allem eins machen: Den Beruf der Lehrerin oder des Lehrers attraktiver gestalten – und zwar von Beginn an!

Wir Bündnisgrüne wollen Ihnen, liebe Koalitionsfraktionen und Landesregierung – ganz im Sinne der Serviceopposition – mit unserem Antrag Maßnahmen vorschlagen, die genau das erreichen können.

Zuallererst müssen wir Anreize schaffen für genau die Lehrerinnen und Lehrer, die gerade ihre Ausbildung beendet haben, hier in Sachsen-Anhalt zu unterrichten. Wir alle wissen, dass aus unterschiedlichsten Gründen bestimmte Fächer, Schulformen und Regionen in Sachsen-Anhalt besonders stark vom Lehrer*innenmangel betroffen sind, und genau für diese Bereiche braucht es eine besondere Lenkungswirkung. Damit wir neu ausgebildete Lehrkräfte dazu bewegen, in Mangelfächern und an bestimmten Schulformen wie Sekundarschulen zu unterrichten, die besonders stark vom Lehrkräftemangel betroffen sind. Und natürlich müssen wir auch Lehrerinnen und Lehrer dazu motivieren, an Schulen in unseren ländlichen Räumen zu unterrichten. Gleichzeitig haben nicht zuletzt die aktuellen Fluchtbewegungen und die sich stetig verändernde Gesellschaft gezeigt, dass wir mehr denn je Lehrkräfte an unseren Schulen brauchen, die bestimmte Vielfalts- und Integrationskompetenzen haben. 

Deswegen schlagen wir Bündnisgrüne vor, dass für mindestens fünf Jahre Sonderzuschläge in Höhe von zehn Prozent auf das Einstiegsgehalts von neu angestellten Lehrkräften eingeführt werden, wenn diese sich entscheiden, in Mangelfächern oder an bestimmten Schulformen sowie bestimmten Regionen unterrichten oder bestimmte Vielfalts- und Integrationskompetenzen haben. Und wir fordern, dass neu eingestellte Lehrkräfte diese Zuschläge erhalten, unabhängig davon, ob sich diese verbeamten lassen wollen oder nicht, ob sie sich entscheiden an freien oder öffentlichen Schulen zu arbeiten, oder ob sie den Weg des Seiten- oder Quereinstiegs wählen. Übrigens macht es auch Sinn und ist vor allem eine Frage der Gerechtigkeit, solche Sonderzuschläge auf das Gehalt auch für Lehrkräfte in Abordnungen zu gewähren. Diese Zuschläge sollen unserer Vorstellung nach genau diesen Lehrkräften gezahlt werden, die eine oder mehrere der genannten Voraussetzungen erfüllen. Natürlich müssen dafür die bisher geltenden Landesbesoldungs- und Tarifregelungen entsprechend weiterentwickelt werden. 

Und, uns Bündnisgrünen ist natürlich bewusst, dass es bereits Sonderzuschläge für „schwer zu besetzende Stellen“ in unserem Bundesland gibt. Diese werden aber bisher erst vergeben, wenn Stellen bei Ausschreibungen ein- oder mehrmals unbesetzt bleiben. Wir halten es allerdings für nicht ausreichend motivierend, unbesetzte Stellen erst nach zwei oder drei frustranen Einstellungsrunden mit einem Bonus zu „pimpen“. Wir wollen mit unserem Vorschlag vermeiden, dass diese Stellen überhaupt erst unbesetzt sind! Sachsen-Anhalt kann sich in dieser akuten Situation Einstellungs-Leerrunden einfach nicht leisten. Wir kämpfen damit für eine Lenkungswirkung von Lehrkräften in genau die Bereiche, in denen sie am allerdringendsten gebraucht werden – und zwar von Anfang an! 

Aber natürlich fordern wir mit unserem Antrag auch Maßnahmen ein, die den Lehrberuf auch für diejenigen Lehrkräfte attraktiver gestalten, die schon jetzt im Dienst sind. Die Einführung von Arbeitszeitkonten für alle Lehrkräfte ist eine Forderung, die wir schon in der letzten Legislatur lang und breit diskutiert haben. Damit kann das Schulpersonal, insbesondere die Lehrkräfte, flexibel Überstunden ansparen und dann selbstständig entscheiden, wann und wie sie diese verwenden. Ob für ein verlängertes Wochenende, ein Sabbatical, Teilzeit in besonderen Lebensphasen oder auch für den früheren Ruhestand. Auch Sie, liebe Koalitionsfraktionen, setzen sich in ihrem Koalitionsvertrag für die Einführung von Arbeitszeitkonten ein. Worauf warten Sie denn noch? Insbesondere die FDP hatte ja bereits in einer Pressemitteilung einen entsprechenden Antrag im Plenum angekündigt. Wir Bündnisgrüne haben keine Lust mehr auf ihr Hinauszögern und Abwarten, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen. Deswegen haben Sie nun hier die Möglichkeit, unserem Antrag und somit auch der Einführung von Arbeitszeitkonten zuzustimmen. 

Neben den Arbeitszeitkonten brauchen wir in Sachsen-Anhalt auch ein Budget für Vertretungslehrkräfte, dass die Schulen direkt vor Ort flexibel einsetzen können, falls Lehrkräfte kurzfristig oder langfristig ausfallen. Damit könnten die Schulen direkt vor Ort selbstständig entscheiden, welche Bedarfe sie gerade haben und wen sie dafür vertretungsweise einstellen wollen. Die Mittel für dieses Budget, genauso wie für die Sonderzuschläge auf das Gehalt von neu angestellten Lehrkräften oder bei Abordnungen sind übrigens bereits vorhanden! Schließlich haben wir, tragischerweise, unzählige unbesetzte Lehrkräftestellen, für die Mittel im Haushalt bereitgestellt wurden. Anstatt die Mittel einfach in den Landeshaushalt zurückfließen zu lassen, sollten wir diese verwenden, um die von uns vorgeschlagenen Maßnahmen zu finanzieren. 

Ich möchte an dieser Stelle noch ein weiteres Thema ansprechen, welches eine langjährige Forderung von uns, aber nicht Teil unseres vorliegenden Antrags ist. Wir haben davon abgesehen, unsere Forderung von E13/A13 für Grundschullehrkräfte in diesen Antrag aufzunehmen. Sie ist Ihnen ja sattsam bekannt. Auch bei den jetzigen beiden Landtagssitzungen findet wieder eine begleitende Kundgebung der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft statt, die genau wie wir Bündnisgrünen schon lange für die Einführung von E13/A13 für Grundschullehrkräfte kämpfen. Ich möchte den Demonstrierenden und allen Grundschullehrer*innen (und denen, die es in Sachsen-Anhalt noch werden wollen) und auch unserer Bildungsministerin versichern: Wir Bündnisgrüne halten weiterhin an unserer Forderung nach einer Anpassung der Gehälter von Grundschullehrkräften fest. Sie, liebe Frau Feußner, haben uns fest an Ihrer Seite, wenn es um diese wichtige Frage geht. Wir werden uns weiterhin bei den Verhandlungen des Landeshaushalts für die Anhebung der Einstiegsgehälter von Grundschullehrkräften auf E13/A13 einsetzen! Weil auch das eine Frage der Gerechtigkeit ist.

Der Lehrkräftemangel ist das dramatischste Problem in den Schulen in Sachsen-Anhalt und wirkt sich unmittelbar auf die Zukunft der Kinder und Jugendlichen und damit auch auf die Zukunft unseres Bundeslandes aus. Die Lösung davon muss oberste Priorität für uns alle hier im Plenum haben. Gerade da können wir es uns nicht leisten, knauserig zu sein. An Bildung sparen, heißt an Zukunft sparen. Alle demokratischen Fraktionen müssen zur Bewältigung des Lehrkräftemangels an einem Strang ziehen. Es ist dringend geboten, die Arbeitsbedingungen und Entgelte für unsere Lehrkräfte an den Schulen zu verbessern. Wir haben keine Zeit mehr abzuwarten, wir müssen jetzt entschlossen handeln.

Wir bitten um Zustimmung zu unserem Antrag.

Vielen Dank.