REDE

Den Betroffenen zuhören und endlich in der Bildungskrise handeln.

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich möchte Ihnen von einer Grundschule erzählen, die ich letzte Woche besucht habe. Dort wurde ich von vier Schülerinnen empfangen. Diese vier Schülerinnen haben mich durch die Schule geführt. Haben mir ihre Lehrkräfte und Mitschülerinnen vorgestellt und die bunten Klassenräume gezeigt. Und fast alle diese Klassenräume waren mit digitalen Tafeln ausgestattet. Selbst digitalisierte Polyluxe gab es! In den Klassen habe ich neugierige und aufgeweckte Kinder getroffen, die mir Löcher in den Bauch gefragt haben. Die Schulatmosphäre wirkte auf mich sehr herzlich, wertschätzend und entspannt. Was ich bei der Führung durch die Schülerinnen alles gesehen habe, hat mich nachhaltig positiv beeindruckt. 

Und dann habe ich die Kehrseite erlebt. Die Kehrseite einer Schule, in der auf den ersten Blick alles gut läuft. Einer Schule, in der die Schülerinnen glücklich sind und Spaß am Lernen haben. Es zeigte sich, dass diese Schule vor allem deswegen so gut läuft, weil die Lehrerinnen und die Schulleiterin sich dafür aufopfern.  Weil sie bis über ihre Belastungsgrenze hinweg arbeiten. Weil ihnen das Wohl und die Bildung ihrer Schülerinnen mehr wert ist, als auf ihre eigene Gesundheit zu achten. Das erste Mal angedeutet hat sich das, als ich am Ende der Führung die Schülerinnen fragte, ob sie Wünsche an uns Politikerinnen haben. Ihre Antwort war: Es wäre schön, wenn die Lehrerinnen nicht mehr so oft krank wären, damit nicht mehr so viel Unterricht ausfällt. Das so von Schülerinnen im Alter von ca. elf Jahren zu hören, da musste ich schlucken. In dem Alter hätte ich vermutlich ganz andere Antworten gehabt.

Das anschließende Gespräch mit den Lehrkräften setzte nahtlos an dem Punkt an, mit dem die Schülerinnen uns zurück gelassen haben. Die Lehrerinnen haben uns erklärt, dass die sogenannte Vorgriffsstunde ein riesiger Schlag ins Gesicht für sie ist. Nicht, weil sie zu faul sind, eine Stunde länger zu unterrichten. Das machen sie eh schon regelmäßig. Das haben sie alle betont. Sondern weil es verkennt, welche Mehrbelastung sie schon vorher geleistet haben. Weil es suggeriert, dass die Lehrkräfte schuld an der geringen Unterrichtsversorgung sind. Weil es das gesellschaftliche Bild der unterbeschäftigten Lehrkraft bedient, die in jeden Ferien Urlaub hat und täglich bereits mittags zuhause ist. 

Doch am emotionalsten war das Gespräch mit der Schulleiterin, welches zum Abschluss des Termins stattfand. Aus jeder Pore sprühte ihr, wie wichtig ihr die Schule und ihre Schülerinnen sind. Und gleichzeitig merkte man ihr auch an, wie sehr sie mental und körperlich am Ende ist durch ihre Arbeit. Weil sie sich so sehr für den Beruf und für die Kinder aufreibt, dass sie nachts nicht mehr richtig schlafen kann. 

Weil selbst an dieser Schule, an der der Schulalltag für die Schülerinnen so gut läuft, der Lehrkräftemangel so groß ist, dass es Tage gibt, an denen aufgrund von Krankheitsfällen zwei Lehrerinnen allein den Unterricht für eine ganze Schule gewährleisten mussten. An denen alle Schülerinnen in den Räumen auf einer Etage untergebracht waren und die beiden Lehrerinnen auf dem  Flur saßen und von Klassenraum zu Klassenraum pendelten. Weil sie, als sie sich hilfesuchend als Schulleiterin an das Landesschulamt wendete – als sie nicht mehr weiter wusste, nicht mehr weiter konnte – als erste Antwort bekam: „Sie schaffen das schon!“. 

Es ist keinesfalls so, dass es keinen regelmäßigen und häufigen Kontakt zwischen ihr und dem Landesschulamt beziehungsweise Ministerium gibt.  Das hat sie betont. Aber dennoch fühlt sie sich nicht gehört. Dennoch hat sie das Gefühl, dass weder das Landesschulamt, noch das Bildungsministerium und letztendlich weder auch wir Abgeordneten ihr wirklich ZUHÖREN. Wirklich die Probleme verstehen und nachvollziehen können, mit denen sie tagtäglich konfrontiert ist.

Und genau deswegen ist das Anliegen, ein regelmäßiges Dialogformat zwischen den Praktiker*innen, Expert*innen und der politischen Ebene einzuführen, ein äußerst wichtiges und unterstützenswertes Anliegen. Damit es regelmäßige Runden gibt, in denen wir wirklich ZUHÖREN können. In denen wir gemeinsam Lösungsansätze erarbeiten können, die nicht – wie die Vorgriffsstunde – an der Realität der Schulen und aller Betroffenen vorbei entschieden werden. 

Auch die Lehramtsausbildung muss dringend überarbeitet werden. Wir brauchen eine bundesweite Einigung und Zusammenarbeit, wie es dabei weitergehen soll. Dennoch wird es sich auch nicht in Zukunft verhindern lassen, dass Bundesländer gemeinsam um denselben Pool an Nachwuchskräften buhlen. Dazu gibt es einfach zu wenig junge Menschen in der gesamten Bundesrepublik. Dagegen helfen keine Klagen und kein Gejammer. Dagegen hilft nur eins: Wir müssen die Schulen in Sachsen-Anhalt zu einem attraktiven Arbeitsort machen. Und genau dafür kämpfen wir Bündnisgrüne.

Den beiden Anträgen stimmen wir zu.

Vielen Dank.