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Bürgergeld jetzt! CDU-Blockade beenden!

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Sehr geehrte Damen und Herren,

54.830. 54 830 Menschen in Sachsen-Anhalt lässt die CDU aktuell im Regen stehen. Denn 54 830 Menschen leben im Oktober 2022 von Hartz 4 – Leistungen. Das sind 54 830 Menschen, die aktuell jeden Cent nicht nur zweimal umdrehen müssen, sondern drei- oder viermal. Die am Monatsende überlegen müssen, ob sie sich die Soße zu den Nudeln noch leisten können. Die damit hadern, ob die eigentlich zu kleinen Schuhe ihrer Kinder nicht doch vielleicht noch diesen Herbst reichen.      

Die mit Schrecken Nachrichten lesen über drohenden Aufnahmestopp von Tafeln und denen das nahende Weihnachtsfest nicht Vorfreude, sondern Sorgen beschert. Weil es unfassbar schwierig ist, Kinder glücklich zu machen, in einer Welt, in der Weihnachtsglück teuer ist, wenn man selbst wenig hat.

Und trotz dieser im Moment überall diskutierten prekären Situation für viele Menschen, besonders auch in unserem Land, scheut sich die CDU nicht, auf dem Rücken eben dieser Menschen ihr Parteiprofil schärfen zu wollen. 

Ihr Parteivorsitzender, bekannterweise Mitglied der Mittelschicht samt Privatflugzeug, spricht sich gerade jetzt vehement gegen die absolut dringende grundsätzliche Reform des SGB II aus. Weil: die Wirtschaft halt. Er – und nicht nur er –  zeichnet schamfrei das alte Bild der Sozialschmarotzer und faulen Armen. Spielt Geringverdiener gegen Arbeitslose aus. Dabei ging es gestern noch gegen den Mindestlohn. Heute gegen das Bürgergeld. Um die Menschen, 54 830 Menschen in Sachsen-Anhalt, ging es dabei nie. Und dann malen sie dieses Zerrbild einer Leistungsgerechtigkeit,  bei dem Menschen Geld für´s faul sein bekommen, während andere ehrenwert zur Arbeit gehen. 

Das ist faktisch falsch: Etwa eine Millionen Menschen in Deutschland, die Leistungen nach dem SGB II beziehen, gehen einer Beschäftigung nach und verdienen schlicht für sich und ihre Familie zu wenig. Daher stocken sie ihr Einkommen mit Hartz IV auf. Oftmals alleinerziehende Eltern. Das sind die ökonomisch Deklassierten in unserer Gesellschaft. Faul ist niemand von denen. Auch diejenigen im Niedriglohnsektor, die keinen Anspruch auf Aufstockungsleistungen haben, werden mit verschiedenen Leistungen unterstützt und liegen im Gesamteinkommen so immer über dem, was Hartz 4 -Empfänger erhalten. Ihr polemisches und polarisierendes Bild vom hart arbeitenden Niedriglöhner und faulen vom Sozialstaat verhätschelten Harz IV bzw. Bürgergeldbeziehenden ist faktisch falsch und längst widerlegt, und moralisch schlicht erbärmlich.

Sie scheinen nicht verstanden zu haben, dass neben der direkten materiellen Not die mit Hartz IV einher geht, gerade das einseitige institutionalisierte Misstrauen gegen die Menschen in den Fluren der Jobcenter das eigentliche Problem ist. Wenn sie entsprechende Studien und Schilderungen von Betroffenen einmal ein offenes Ohr schenken würden – und eben nicht nur den Wirtschaftslobbyisten zuhören – dann würden sie wissen, dass dieses Gefühl, Bürger*innen zweiter Klasse zu sein die zermürbende Wirkung des SGB II Regimes war und ist. Die Bundesregierung und wir GRÜNE wollen dieses entwürdigende Prinzip von Hartz IV überwinden. Wir geben Hartz 4 – Empfängern ihre Würde zurück.

Die Bundesregierung setzt völlig zu Recht auf Respekt und Vertrauen. Will den Menschen eine unbelastete Neuorientierung in Zeiten von Arbeitslosigkeit ermöglichen. Kein möglichst schnelles Vermitteln in, zur Not miese, Jobs, um die Statistik zu verbessern. Dagegen setzen wir die Vertrauenszeit in den ersten Monaten, den Schutz der Wohnung, die Abschaffung des Vermittlungsvorrangs. Diese Maßnahmen sind Ausdruck eines Bürgerrechts auf ein sozio-kulturelles Minimum. Sind Ausdruck dafür, auf Vertrauen, Eigenverantwortung und ja Freiheit zu setzen. Wer dann gleich an Sozialbetrug und Trittbrettfahrer denkt bringt damit nur sein grundsätzliches Misstrauen gegenüber einer bestimmten Gruppe von Mitmenschen zum Ausdruck. Und eine völlig verquere Weltsicht. 

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass der Anreiz, in mies bezahlten Jobs zu arbeiten, sinken könnte. Aber das liegt doch dann vor allem an der miesen Bezahlung der Jobs! 

Und wenn sich für diese schlecht bezahlte Jobs niemand mehr finden sollte – ja dann müssen diese Jobs schlicht und ergreifend besser bezahlt werden oder delegiert. Delegiert an Maschinen und Algorithmen. Oder an die Kunden selbst wie es zunehmend in Fast-Food-Geschäften und Supermärkten oder auch Flughäfen durch Selbstbedienungskassen, Bestellungen an Bildschirmen und dem automatisierten Aufgeben von Koffern und Ausweiskontrollen per Kamera geschieht. 

Fleißige Arbeit muss sich lohnen, sagen sie, aber für Menschen in Billigjobs lohnt sich Fleiß nicht, egal wie viel oder wie wenig Arbeitslose bekommen. Sie haben Recht: Leistung muss sich lohnen! Aber da müssen wir bei denen anfangen, die sich meist nicht meinen, wenn sie von den Leistungsträgern unserer Gesellschaft sprechen: bei der Busfahrerin, dem Pfleger, der Verkäuferin – die Arbeiten hart und in Schichten und an Feiertagen, wenn wir alle unterm Baum hocken! Bei den Friseuren und Hörakustikern, den Bauarbeitern und Reinigungskräften. Wir müssen bei gerechten und auskömmlichen Löhnen beginnen, und nicht damit, Menschen gegeneinander auszuspielen! Aber gegen einen gerechten Mindestlohn kämpfen sie ja auch! Ich würde mir da von ihnen auch mehr Ehrlichkeit wünschen, liebe CDU und liebe Unternehmerverbände. Sprechen sie es aus: wir sind gegen das Bürgergeld, weil wir Menschen in ökonomischen Zwangslagen brauchen. Für unseren Niedriglohnsektor. Das ist nämlich, was sie meinen. Dann sagen sie es auch und verstecken sich nicht hinter Arbeitsethos und Gerechtigkeitschimären.

Wir Grünen fragen uns sozialpolitisch: wie können wir ein Mindestmaß an würdevollem Leben für Alle gewährleisten, wie kann eine teilhabesichernde Sozialleistung aussehen, die eben auch Motivation und Perspektive bietet.

Sie fragen sich anscheinend: Wie können wir weiterhin auf billige Arbeitskräfte zugreifen? Wie können wir den Zwang zum Verkauf der Arbeitskraft möglichst hochhalten, damit niemand aus der Reihe tanzt? Hätte das Bundesverfassungsgericht die Sanktionen nicht für rechtswidrig erklärt sie wären doch die Ersten die weiterhin 100% Sanktionen fordern würden. Von Sanktionen bis zum sozialen Pflichtdienst die autoritäre Attitüde kommt doch immer wieder zum Vorschein. Versuche der Modernisierung der CDU hin oder her.    

Und einmal abgesehen vom moralischen Furor der mich packt, wenn ich dieser Diskussion mit einer CDU an vorderster Front zu höre:  Auch wenn man kühl und nüchtern Maßnahmen evaluiert wie Sanktionen und den Vermittlungsvorrang. Sie bringen Menschen nicht nachhaltig in Arbeit. Ganz im Gegenteil. Sanktionen sorgen dafür, dass gerade junge Menschen den Kontakt zum Jobcenter abbrechen. Der Vermittlungsvorrang führt dazu, dass prekäre Jobs statt einer nachhaltigen Aus- oder Weiterbildung die Erwerbsbiographie von Menschen auf´s Abstellgleise führt. 

Ich selbst hatte 2005 das Glück, dass das Ausbildungsentgelt in der Pflege auch im ersten Jahr über dem Hartz 4 -Satz lag. Ich hatte schon ein Jahr Leistungen bezogen und das Amt war grundsätzlich nur zur Vermittlung von Jobs bereit, nicht zur Unterstützung während einer Ausbildung. Wäre ich – auch nur unterstützend – auf sie angewiesen gewesen, dann hätten die ganz rechts hier mal wieder ne Story. Ich wäre bis heute ohne Ausbildung und müsste meine Kinder ungelernt über Wasser halten. Das sind die Biografien, die das Hartz 4 – System produziert hat!

Also selbst wenn Sie diese Maßnahmen an ihren eigenen Zielen messen, sollten sie zur Kenntnis nehmen: Sie sind einfach nicht zielführend.

Auch die FDP hat dies zur Kenntnis genommen und unterstützt daher die Pläne des Bürgergeldes. Denn Freiheit heißt auch die positive Freiheit eines ermöglichenden Sozialstaats, der auf Vertrauen und Eigenverantwortung setzt. Statt auf Zuckerbrot und Peitsche. Ein Sozialstaat, der eben auch vergangene Leistungen würdigt und daher Schonvermögen, Eigentum und Wohnung schützt – zumindest für eine Weile. Denn auch dies war ein Skandal der Hartz IV Gesetze, dass nach langem Arbeitsleben erst so gut wie alle Ersparnisse aufgebracht werden mussten, bevor ein Anspruch auf das Arbeislosengeld II bestand. Im Rahmen der SGB II Reformen im Zuge der Coronapandemie haben übrigens sie verehrte CDU die Erhöhung des Schonvermögens auf 60.000 Euro mit beschlossen. 

In Sachen Schonvermögen kam Ihnen die Bundesregierung bereits entgegen. Das begrüße ich ausdrücklich, denn über Details und konkrete Regelungen kann  und sollte man immer offen diskutieren können. Aber nicht über das grundsätzliche Ziel der Überwindung von Hartz IV und der Neuausrichtung der Grundsicherung auf Vertrauen, Respekt und Wertschätzung. Denn das ist der große sozialpolitische Wurf dieser Bundesregierung. Nicht die Erhöhung, die viel größer sein müsste, was objektiv berechnet wurde. Nein, die Tatsache, dass wir auch 54 830 Menschen in Sachsen-Anhalt ihre Würde zurück geben.

Danke.