Rede

Bürgergeld in Gefahr: Soziale Sicherheit statt Existenzangst!

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Sehr geehrte Damen und Herren,

die Bürgergeldreform der Ampel-Koalition war eine der großen, der wichtigen und nötigen Projekte ihrer Regierungszeit. Da galt noch das Versprechen der Fortschrittskoalition. Für die SPD (und ein bisschen auch für uns Bündnisgrüne) war es wahrscheinlich die Heilung des Traumas der Agenda 2010. Endlich sollte Hartz IV überwunden, der Verrat an der ureigenen Klientel gesühnt und korrigiert werden. So der Anspruch. 

Durch die CDU wurde dieses Vorhaben im Bundesrat arg gerupft. Aber es war trotzdem weiterhin mehr als nur alter Wein in neuen Schläuchen. Das Bürgergeld hat Hartz IV überwunden. Trotz des CDU Angriffs war das Bürgergeld für die Grundsicherung in vielerlei Hinsicht eine nötige Frischzellenkur.

Das Bürgergeld steht für die Abkehr von Misstrauen und Gängelung. Im Vordergrund stehen nun Förderung, Vertrauen und Eigenverantwortung. Eine anfängliche sechsmonatige Vertrauenszeit mit Sicherung der Wohnung und des Eigentums war vorgesehen. Ohne Sanktionsdrohung. Damit statt Schockstarre nach dem Jobverlust, ein Freiraum gewährt wird, um sich neue Perspektiven zu erarbeiten.  Das verehrte Liberale ist positiv verstandene und staatlich flankierte Freiheit. Mit der CDU im Bundesrat damals nicht zu machen.

Mit der Bürgergeldreform musste auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt werden, das forderte, die Totalsanktionierungen als nicht verfassungsgemäß abzuschaffen. Das Existenzminimum ist unverbrüchlich. Obdach. Essen auf dem Tisch. Minimale soziale und kulturelle Teilhabe. Das sind Ansprüche, die sich direkt aus der Menschenwürde und dem Sozialstaatsgebot ableiten. Und ganz bestimmt nicht vom Wohlverhalten der Person abhängen. Wer das negiert, der hat das Prinzip der Sozialen Marktwirtschaft nicht verstanden. Die vornehmste Aufgabe des Sozialstaates: Menschen die Existenzangst nehmen. Konsequent zu Ende gedacht braucht es dafür ein Grundeinkommen. Zumindest aber eine garantierte Haltelinie, damit niemand fürchten muss ins Nichts zu fallen, wenn Arbeitslosigkeit droht oder erfahren wird. Nicht mehr und nicht weniger sollte das Bürgergeld leisten. 

Diese Garantie soll zerschlagen werden – ja sie wurde schon von der Ampel selbst unterlaufen im Zuge des Zweiten Haushaltsfinanzierungsgesetz 2024 gemäß dem wieder die 100% Sanktionen des Regelsatzes eingeführt wurden – aber die im Sondierungspapier vereinbarten Verschärfungen sind ein nochmal anderes Kaliber. 

Wahrscheinlich nur ein Vorgeschmack auf die soziale Kälte eines CDU-Kanzlers Merz. Wenn sie von der CDU und vielleicht auch in Teilen der SPD wirklich meinen, nur die nackte Existenzangst kann manche Menschen in bestimmte Jobs zwingen, dann sollte man sich vielleicht mal fragen, was das für Jobs sind? 

Wenn die große asoziale Figur, der große Buhmann der Nation ihres Erachtens der vermeintlich faule Arbeitslose ist, was ist dann eigentlich mit den sogenannten Privatiers in Deutschland?! Menschen, die durch geerbte Wohnungen und Häuser oder Aktiendepots auch eine arbeitsfreie Existenzsicherung genießen dürfen. Das Glück der Erbschaft ist moralisch ok? Das Pech der Arbeitslosigkeit aber nicht?! Auch von Mieteinnahmen leben, heißt auf Kosten der Arbeit anderer zu leben. Solche Einkünfte heißen ja nicht umsonst passives Einkommen. Das eine wie das andere muss eine Gesellschaft aber, wie ich finde, in gewissen Grenzen schlicht aushalten. Auch der sogenannte Totalverweigerer sollte weder hungern, noch frieren. Ein Sozialstaat, der diesen Namen verdient, droht nicht mit Hunger und Wohnungslosigkeit.

Lassen sie uns das in einen etwas weiteren Rahmen stellen: es ist ja wirklich spannend zu sehen: kaum ruckelt etwas der Wirtschaftsmotor kommen Wirtschaftsvertreter mit ihren Forderungen aus der Deckung. Was wir da alles lesen müssen: Abschaffung der Lohnfortzahlung am ersten Krankheitstag. Damit fing es an. Jetzt kommt Abschaffung eines Feiertages. Höheres Rentenalter. Abschaffung Elterngeld. Bereits konkret verabredet: Die Aufweichung der Höchstarbeitszeitregelung und wie gesagt die weitere Schleifung des Bürgergeldes. 

Es war ehrlicherweise in letzter Zeit auch etwas ruhig geworden um den Klassenkampf von oben. In Zeiten des Fachkräftemangels hielt man sich besser bedeckt. Er äußerte sich nur ein bisschen hilflos in der Diskreditierung einer vermeintlich arbeitsscheuen Generationen Z. Doch sobald hier Morgenluft gewittert wird, kommen die Vorschläge aus den Giftschränken der Wirtschaftsverbände und Unternehmenslobby wieder auf die Frühstückstische der Nation.

Erster Erfolg der Moralkeule gegen vermeintlich arbeitsscheues Gesindel: Jetzt soll der Vermittlungsvorrang wieder eingeführt werden. Welch ein Irrsinn. Jetzt soll wieder gelten: Jeder Job – sei er noch so schlecht bezahlt, sei er noch so perspektivlos, sei er noch so jenseits der Qualifikation der Betroffenen muss angenommen werden. Von der Ampelkoalition war hier endlich umgesteuert worden. Statt kurzfristige Arbeitsvermittlung um jeden Preis wurde auf Fortbildung, Ausbildung und Qualifizierungs-maßnahmen gesetzt. Warum? Damit die Arbeitsmarktintegration auch wirklich nachhaltig gelingt, und damit Menschen die Chance auf mehr als mies bezahlte Jobs in Ausbeuterbuden haben. 

Jetzt ist hingegen wieder geplant, arbeitslose Menschen wie Ware im Schlussverkauf zu behandeln: Alles muss raus.

Die vorrangige Vermittlung um jeden Preis ist nicht nur eine Zumutung für die Klienten, sondern schlicht auch sträflich kurzsichtig. Natürlich sind solche Jobs dann oft Drehtürjobs. Das Matching zwischen Job und Klient im Zweifel völlig unpassend. Die Arbeitsaufnahme entsprechend wenig nachhaltig. Gute Arbeismarktpolitik heißt nicht Menschen in Jobs zu zwingen, die zu niedrigen Löhnen, ohne Entwicklungs- und Aufstiegschancen, abseits der eigenen Qualifikation und Neigung liegen. Samt Zumutbarkeit von 3h pendeln täglich. Gute Arbeitsmarktpolitik heißt Menschen individuelle Angebote zu machen ihnen auch erwerbsbiographische Umorientierung zu ermöglichen. Ausbildung und Fortbildung zu ermöglichen. Also Wege auf zu zeigen, anstatt in erwerbsbiographische Sackgassen zu zwingen. 

 Statt nach unten zu treten und Arme gegen noch Ärmere auszuspielen – eins der Lieblingsspiele deutscher Konservativer – schaue ich lieber nach oben. Was ist denn mit der Erbschaftssteuer, einer Vermögenssteuer, dem Abbau klimaschädlicher Subventionen?! Der strengen Verfolgung von Steuerhinterziehung? Der rückhaltlosen Aufklärung des Cum-Ex Skandals? All das sind Baustellen für eine gerechte Gesellschaft, für eine faire Verteilung von Ressourcen und Möglichkeiten. Auch das Schuldenpaket sollte uns weniger auf die Ausgabenseite von Sozialpolitik denn auf die Einnahmenseite des Staates schauen lassen.

Eine Grundsicherung, die auch die Würde sichert. Nachhaltige Arbeitsförderung. Gezielte Arbeitsvermittlung. Vertrauen in die Eigenverantwortung des Einzelnen. Dafür stehen wir Bündnisgrünen. Wofür Merz sozialpolitisch steht!? Tja keine Ahnung. Es steht zu befürchten nicht für sehr viel. Ich hoffe die SPD wird nicht alles mittragen. Und ganz offen: Ihre Zwangslage,  liebe Kolleginnen von der SPD kann ich dabei nachvollziehen. In Zeiten der Ampel haben auch wir Grüne vielem mit der Faust in der Tasche und schweren Herzens zugestimmt. Realpolitik in Regierungsverantwortung läuft manchmal nicht anders, das weiß ich wohl. Verantwortung heißt auch Kompromiss, und Kompromisse sind auch ein Wert an sich, weil sie Ausgleich und Legitimation schaffen zwischen Parteien, die mit unterschiedlichen Zielen angetreten sind, und nun gemeinsam das Land regieren sollen. Aber verleugnen sie nicht ihr soziales Gewissen. Wie Boris Pistorius nach den Sondierungsgesprächen treffend feststellte: Ein solches Gewissen fehlt so manch einem in den Reihen der CDU. Da liegt es nun an Ihnen verehrte SPD zu retten was zu retten ist. Und an uns als nicht mitvernandelnde Gesellschaft liegt es, Ihnen dabei den Rücken zu stärken. Und das werden wir tun. Und einfordern.

Danke.