Rede

Schwitzend lernt es sich nicht gut. Schulische Bildung an zunehmende Hitzephasen anpassen.

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Sehr geehrte Damen und Herren,

In der letzten Woche, der zweiten Schulwoche in diesem Jahr, fielen für die Klasse meiner Tochter die Hälfte aller Schulstunden aus. Hitzefrei! Ich will nicht mutmaßen, ob es für vollständigen Unterricht überhaupt genügend Lehrkräfte gegeben hätte, aber das war angesichts der Temperaturen offensichtlich ohnehin irrelevant. Dieser Frage können und müssen sich Schulleitungen in Sachsen-Anhalt im kommenden Monat wieder mit aller Kraft stellen, aber jetzt ist erstmal Sommer.

Es ist August in Europa. Die Temperaturen klettern auf über 30 Grad. Empfehlungen zum Umgang mit besonderen Hitzetagen erreichen uns über die Medien. Super Sommerferienwetter. Aber einige – wie unsere Landeskinder – gehen seit Anfang August wieder in die Schule. Kaum dort angekommen, finden verkürzter Unterricht oder verkürzte Schultage statt. Das geht garnicht anders, zeigt aber die Unsinnigkeit von Sommerferien, die bereits im Juni beginnen.

Andere Länder, die sich schon länger mit höheren Temperaturen auskennen, wie Italien, Frankreich und Spanien, sind da schlauer. Im Hochsommer findet dort keine Schule statt. In Italien beginnen die Sommerferien in der Regel im Juni und enden im September. Die genauen Termine können je nach Region variieren, wobei der Höhepunkt der Ferienzeit im August liegt, insbesondere rund um den Feiertag Ferragosto am 15. August. Spanien hat eine ähnliche Struktur, mit Sommerferien, die in der Regel von Ende Juni bis Mitte September dauern. Auch hier gibt es regionale Unterschiede, wobei in vielen Teilen des Landes der August der bevorzugte Monat für den Urlaub ist. In Frankreich sind die Sommerferien, bekannt als „les grandes vacances“, auf die Zeit von Anfang Juli bis Anfang September gelegt.

Es geht also nicht nur um die Länge der Sommerferien – aber warum nicht mehr als die bei uns bisher üblichen 6 Wochen? – die meisten von uns kennen auch noch 8 Wochen – sondern auch um den genauen Zeitraum. Von den Ländern im Süden Europas können wir hier lernen. Diese kennen heiße Sommer schon länger als wir in den vormals gemäßigten Breiten. Es liegt doch nahe, sich an diesen Erfahrungswerten zu orientieren.

Klar ist: Der August scheidet im Grunde aus für ein wirklich produktives und gesudes Lernen. 30 schwitzende Kinder in warmen, stickigen Räumen, die nur mit Innenvorhängen vor dem direkten Sonnenlicht geschützt sind, plus eine Lehrkraft, die auch quasi im eigenen Saft schmort, sind Bildungprozessen absolut abträglich. Das liegt auf der Hand, das zeigen aber auch Studien zum Zusammenhang von Hitze und Leistungsfähigkeit deutlich. Grundsätzlich gilt: Je wärmer es ist, desto mehr Energie wird dafür benötigt, den Körper bei Temperatur zu halten. Und das geht auch am Gehirn nicht spurlos vorbei, da dann für mentale Prozesse eben weniger Energie zur Verfügung steht. Das zeigte beispielsweise eine Studie von Chan et al. (2018), die die Leistungen von Studierenden aus Wohnheimen mit und ohne Klimaanlage verglich. Im Ergebnis brauchten Studierende in Wohnheimen ohne Klimaanlage 13% länger für die vorgelegten Aufgaben. Vom Wohlbefinden einmal ganz abgesehen – denn klebrig und schwitzig in eng besetzten Räumen zu sitzen und zuhören zu müssen, wenn draußen die Sonne vom wolkenlosen Himmel brennt, macht wohl weder Spaß noch fühlt man sich wirklich wohl dabei.

Daher haben wir ja auch Regeln zum verkürzten Unterricht bzw. das allseits bekannte Hitzefrei an unseren Schulen. Wenn unsere Kinder im August aufgrund der Temperaturen also ohnehin nur reduzierten Unterricht haben, dann ist es absolut sinnvoll, darüber nachzudenken, in dieser Zeit die regulären Ferien zu platzieren. Ja, dies wendet sich gegen das traditionelle Rotieren der Ferienzeiten in Deutschland. Aber nur am Rande erwähnt: In Bayern und Baden-Württemberg ist der August trotz Rotation immer Ferienzeit. Warum Kinder in anderen Bundesländern im August zur Schule müssen, ist jetzt, angesichts der zunehmenden Hitzesommer in Deutschland ungerecht und diskussionswürdig.

Über Klimafolgenanpassung im Bildungsbereich zu reden, heißt aber mehr als nur über die Sommerferien zu sprechen. Wir müssen natürlich auch über hitzeresiliente Schulgebäude sprechen. Über verschattete Schulhöfe. Über Trinkwasserbrunnen. Über Grüne Klassenzimmer und flexible Lernformen.  Bei Grünen Klassenzimmern handelt es sich um Unterrichtsräume im Freien, die bewusst in die Natur integriert werden. Diese Klassenzimmer gibt es bereits an einigen Schulen in Deutschland, wie zum Beispiel in Berlin und Nordrhein-Westfalen, wo sie als Modellprojekte gestartet sind und auch an Schulen in Sachsen-Anhalt habe ich sie schon gesehen. Das Grüne Klassenzimmer fördert nicht nur das Lernen unter freiem Himmel, sondern verbessert auch das Wohlbefinden der Schüler*innen durch die Verbindung mit der Natur. Studien zeigen, dass der Aufenthalt im Freien Stress reduziert, die Konzentrationsfähigkeit steigert und das Lernen nachhaltiger macht. Angesichts der zunehmenden Hitzebelastung kann das Grüne Klassenzimmer auch dazu beitragen, für angenehmere Lernbedingungen zu sorgen. Lernen im Freien tut immer gut. In Hitzesommern unter Bäumen sicherlich noch mehr.

Bei flexiblen Lernformen meine ich Ansätze des sogenannten „Blended Learning“. Das ist eine Mischung aus traditionellen Präsenzveranstaltungen und digitalen Lernformaten. Mit diesem Ansatz lässt sich flexibel auf unterschiedliche Bedingungen reagieren – zum Beispiel auf Sommerhitze. Blended Learning kann beispielsweise bedeuten, dass Schülerinnen und Schüler an besonders heißen Tagen von zu Hause aus arbeiten und dennoch durch digitale Tools und Plattformen voll in den Unterricht integriert sind. Und das kann auch heißen, digitale Lernphasen an kühleren frühen Abendstunden, dafür am Mittag frei. Also quasi die Möglichkeit einer Siesta im Bildungsbereich.

Herausforderungen für unsere Schulen durch die Klimakrise gibt es viele. Mögliche Ansätze und Lösungen aber ebenso. Was nun nötig ist, ist, sich hier mit den anderen Bundesländern auseinanderzusetzen und abzustimmen. Denn heißer wird es von Kiel bis München und von Aachen bis Frankfurt (Oder). Ebenso gilt es, mit den Kommunen ins Gespräch zu kommen. Als zuständig für die Schulgebäude haben die natürlich auch eine zentrale Rolle. Denn eines darf eigentlich nicht mehr passieren: dass wir Schulen oder Schulhöfe sanieren und neu gestalten und dann etwa ein schattenfreier, reiner Steinpausenhof entsteht – wie beim Editha-Gymnasium in Magdeburg. Fatal jetzt im August. Pausenhöfe ohne Grün, ohne Verschattung waren nie schön, jetzt sind sie als Hitzeinseln geradezu gefährlich. Denn Kinder schwitzen weniger als Erwachsene, das heißt, sie können ihren Körper weniger gut abkühlen. Weniger Schweiß bedeutet ganz einfach, es wird weniger Wärme abgegeben. Gleichzeitig verschärfend erzeugen Kinder bei körperlichen Aktivitäten mehr Stoffwechselwärme als Erwachsene. Bei extremer Hitze und großer Anstrengung gelingt es dem kindlichen Körper dann oft nicht mehr, seine Temperatur genügend abzusenken. Die Folge können Hitzeerschöpfung oder sogar ein Hitzschlag sein. Dies müssen wir verhindern. Hier braucht es Konzepte, bauliche Maßnahmen und eben eine neue Sommerferienorganisation.

Also: Wir wollen den Anstoß dafür geben, die Schulferien in Deutschland neu zu denken. Wir wollen das Thema hitzeresiliente Schulen auf die Agenda setzen. Dass der Weg steinig werden kann, ist klar – an die Diskussionen und Schwierigkeiten zu Luftfiltern in Schulen und den Möglichkeiten zu Lüften im Rahmen der Coronapandemie können sich sicherlich noch einige erinnern. Jetzt haben wir ähnliche Herausforderungen, aber nicht nur für – zum Glück – einzelne Jahre der Pandemie, sondern langfristig und zunehmend. Wir alle wissen – oder sollten wissen – dass die Herausforderungen der schulischen Bildung im Sommer 2030, 2035, 2040 noch weit höher sein werden als heute. Also lassen Sie uns heute mit der Lösungssuche und Lösungsfindung beginnen.

Damit die heute geborenen Kinder bei ihrer Einschulung in 2030 dies nicht in flirrender Hitze erleben müssen, weil ihre Einschulung mitten im August ansteht. Sondern Sie ihre Schullaufbahn angenehm im September beginnen können. In begrünten Schulgebäuden, mit Außenmarkisen, auf Schulhöfen mit Wasserverneblungsanlagen, Trinkbrunnen und schattigen Bäumen, die auch für Unterrichtsstunden genutzt werden können. Und ja sicherlich auch mit Räumen, die klimatisiert sind. Denn Bildung braucht kühle Köpfe. Lassen Sie uns dafür Sorge tragen, dass unsere Kinder in der Schule lernen und nicht schwitzen.

Danke.