Rede

Sachsen-Anhalt-Monitor ernst nehmen – Grüne fordern Politik, die zuhört

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Anrede, 

sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

der Sachsen-Anhalt-Monitor ist mehr als eine statistische Momentaufnahme oder ein demokratiepolitisches Frühwarnsystem. Er ist ein Spiegel – ein Spiegel der Lebenslagen, Sorgen und Hoffnungen der Menschen in unserem Land.

Wenn wir in die Zahlen schauen, sehen wir nicht nur Zustimmung oder Skepsis gegenüber politischem Handeln oder politischer Systeme. Wir sehen Menschen, die hart arbeiten, sich einsetzen, Verantwortung tragen und trotzdem oft das Gefühl haben, dass ihre Anstrengungen zu wenig zählen. Wir sehen Eltern, die sich fragen, wie sie Familie und Beruf unter einen Hut bringen. Junge Menschen, die bleiben möchten, wenn die Perspektiven stimmen. Und ältere Menschen, die sich ein gutes, würdevolles Leben im vertrauten Umfeld wünschen.

Diese Lebensrealitäten sind der Kern dessen, was der Sachsen-Anhalt-Monitor uns zeigt und sie müssen der Ausgangspunkt unserer politischen Arbeit sein. Unzufriedenheit mit Politik entsteht, wenn das Gefühl verloren geht: hier geht es um mich! Wer Politik für Menschen machen will, darf sie nicht nur als Zielgruppe sehen, sondern muss ihnen wirklich zuhören. Ihrem Alltag, ihren Herausforderungen, ihrem Wunsch nach Sicherheit, Sinn und Zusammenhalt.

Wenn wir den diesjährigen Monitor genau lesen, sehen wir: Viele Menschen in Sachsen-Anhalt sind grundsätzlich zufrieden mit ihrem Leben, aber sie spüren zugleich Brüche. Die Schere zwischen dem eigenen, oft stabilen Alltag und der Skepsis gegenüber der gesellschaftlichen Entwicklung wächst. Vertrauen ist da, aber es ist fragil. Zufriedenheit ist da, aber sie steht auf dünnem Eis, wenn öffentliche Daseinsvorsorge, gute Bildung und soziale Sicherheit wackeln.

Das heißt: Die Stimmung im Land ist kein Ruf nach Resignation, sie ist ein Auftrag, endlich konkret zu werden. Dort hinzuschauen, wo sich Strukturen verändern müssen, damit Menschen nicht das Vertrauen verlieren, dass Politik wirklich einen Unterschied macht.

In seiner inhaltlichen Breite und seinem umfassenden Zahlenwerk ist der Monitor so etwas wie ein politischer Rorschachtest. Sie wissen schon, diese schwarzen Kleckse, in denen jeder etwas anderes sieht und halt das sieht, was er selbst hineinlegt. Wohl jede Partei wird hier hier schnell Anknüpfungspunkte für eigene Interpretationen und Schlussfolgerungen finden. Aber lassen Sie uns alle bei der folgenden Debatte nicht vergessen: Wirklich aktives Zuhören heißt, die Sicht des Sprechenden nachzuvollziehen. Zu rekonstruieren: worum geht es meinem Gesprächspartner. Zuhören heißt nicht, dessen Äußerungen nur als willkommenen Anlass zu nutzen gleich die eigene Geschichte zu erzählen, gleich eigene Erfahrungen auszubreiten. 

Der Sachsen-Anhalt-Monitor ist für mich und meine Fraktion Anlass in den Dialog zu gehen mit den Menschen im Land. Aufzugreifen, welche Themen im Land relevant sind. Aufzugreifen, welche Sorgen die Menschen umtreibt. Welche Anliegen sie haben. Der Sachsen-Anhalt-Monitor ist für uns kein Stichwortgeber, den man selektiv heranzieht, um die eigene Position zu untermauern. Er ist vielmehr ein Anlass, genau hinzuhören. Nicht zu reden, bevor man verstanden hat, sondern zu verstehen, bevor man redet.

Wenn wir das nicht tun – wenn wir nur herauspicken, was uns passt, und den Rest ignorieren –, dann bestätigen wir genau jenen bitteren Befund, den der Monitor klar benennt:
70 Prozent der Menschen glauben, dass es uns Parteien nur um Wählerstimmen geht, nicht um ihre Anliegen.

Das ist ein Weckruf. Und wir sollten ihn als solchen behandeln. Merkposten für uns alle: Lassen wir den Sachsen-Anhalt Monitor für sich sprechen. 

Der Monitor zeigt vieles, was uns Demokratinnen Sorgen machen muss: nur knapp die Hälfte der Menschen im Land stehen gefestigt zu den Prinzipien unserer Demokratie. 8 Prozent sind überzeugte Rechtsextreme. Das gehört zur Realität. Aber es ist nicht die ganze Realität – und vor allem nicht die wichtigste. Denn Sie wissen, ich bin überzeugt: Sachsen-Anhalt ist mehr als ein Bindestrichland mit Naziproblem. Und dieser Befund ist auch als Aufgabe zu verstehen. Viele Sachsen-Anhalter können und wollen noch motiviert werden für Demokratie. Die allermeisten haben eben kein gefestigtes rechtsextremes Weltbild. Das was im Sachsen-Anhalt-Monitor so wissenschaftlich als fragile Demokrat*innen bezeichnet wird, das sind die Menschen, die wir überzeugen können. Und müssen. Wir Grüne, aber eben auch die gesamte Landespolitik. Demokratie ist kein Apparat, sondern ein Mitmach-Ding, das wirkt. Deswegen werden wir ja auch als Volksvertretung bezeichnet.

Also Merkposten zwei: Keine Einzeldiagnose zu einem Gesamtbild hochjazzen. Und die Ergebnisse als Arbeitsauftrag annehmen.

Mir führt der Monitor vor allem eins vor Augen, einen Punkt, den wir viel zu selten laut sagen, schlicht weil wir es kaum für möglich halten: Die Menschen in Sachsen-Anhalt wollen Veränderung.

Von der vielbeschworenen Transformationsmüdigkeit kaum eine Spur. 70 Prozent der Menschen im Land stimmen der Aussage zu: „Wir müssen unsere Lebensweise ändern, um dem Klimawandel zu begegnen.“

Das ist ein enorm starkes Signal. Ein Signal, das die sozial-ökologische Modernisierung nicht als Zumutung zeichnet, sondern als Mehrheitswunsch.
In Hamburg haben sich die Menschen sogar per Volksentscheid für eine verbindliche Klimapolitik ausgesprochen. Wir haben zumindest ein sehr überzeugendes Stimmungsbild mit dem Sachsen-Anhalt-Monitor vorliegen. 

Und diese Bereitschaft steht nicht auf wackligen Füßen. Ganz im Gegenteil: Sie ruht auf einer soliden gesellschaftlichen Grundlage.

Erstens: Die Menschen fühlen sich ihrem Land, ihren Städten und Dörfern verbunden wie seit Jahren nicht. Das ist keine romantische Nebensächlichkeit. Verbundenheit schafft Verantwortungsgefühl. Wer sein Land liebt, ist bereit, es zu gestalten und es zu schützen.

Wenn die Elbe im Sommer bis auf den nackten Felsen trockenfällt, wenn in der Börde die Felder vertrocknen, im Harz die Wälder brennen und die ältere Nachbarin unter der Sommerhitze leidet, dann bleibt das nicht abstrakt. Dann spüren die Menschen: Veränderung ist notwendig. Und sie wollen handeln.

Zweitens: Diese Veränderungsbereitschaft wird getragen von Vertrauen.  Einem starken Vertrauen in die Wissenschaft mit über 80 Zustimmung .
Vertrauen in den Landtag, das deutlich höher ausfällt als in Bundesinstitutionen.

Das ist bemerkenswert. In Zeiten, in denen an vielen Orten Fakten infrage gestellt werden, hält Sachsen-Anhalt an den Grundlagen vernünftiger Politik fest. Unser Parlament, unsere Institutionen: Sie genießen Rückhalt.

Aus all dem ergibt sich ein klares Bild: Wir haben eine Bevölkerung, die Veränderung will, eine Gesellschaft, die zusammenhält und Institutionen, denen man zutraut, diesen Wandel zu stemmen.

Das ist eine gute Ausgangslage. Eine Ausgangslage, die uns Politikerinnen und Politiker verpflichtet: Nicht bremsen. Nicht zaudern. Sondern den Mut der Menschen ernst nehmen und handeln.

Genau das tun wir Grünen. Wir haben ein Klimaschutzgesetz vorgelegt. Ein Gesetz für die 70 Prozent im Land, die sagen: „Tut endlich etwas gegen den Klimawandel.“

Was macht die Koalition?
Sie hat dieses Gesetz ohne weitere Anhörung weg gestimmt. Damit bestätigt sie das, was viele Menschen empfinden: Dass ihre Anliegen keine Rolle spielen.
Dass es eben doch nur um Wählerstimmen geht.
Dass Politik nicht zuhört.

Für die 70 Prozent im Land, denen Klimaschutz wichtig ist, hat die Koalition im letzten Plenum ein eindrückliches Zeichen gesetzt: Eure Sorge interessiert uns nicht. 

Und das Klimaschutzgesetz ist ja leider keine Ausnahme. 76 Prozent der Menschen im Land wünschen sich mehr Beteiligung etwa durch Bürgerversammlungen. Wir haben einen Antrag eingebracht, einen Bürgerrat zur Bildungspolitik einzurichten.
Was haben Koalition und AfD getan? Sie haben diesen Antrag abgelehnt. Die Menschen wollen Mitsprache. Wir wollen Mitsprache. Sie aber – offensichtlich – nicht.

Und wer sich fragt, woher die 70 Prozent noch kommen, die sagen, dass Politik ihre Anliegen nicht aufgreift, der braucht sich nur anzusehen, worüber hier manche Fraktionen sprechen:

Während Landwirte sich fragen, ob die nächste Ernte vertrocknet,
redet die AfD über die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele, Fahnenapelle an Schulen, einem Bauhausverbot und leichteren Zugang zu Waffen. 

Während die Menschen im Land spüren, wie die Klimakrise ihren Alltag verändert, ergeht sich die AfD in einer Wissenschaftsfeindlichkeit, die die Klimakrise für schönes Sommerwetter und Corona für einen grippalen Infekt hält.

Nur: Die Menschen teilen diese Parallelwelt nicht. Sie vertrauen der Wissenschaft. Sie wollen Fakten, nicht Fantasie. Sie wollen Lösungen, nicht lautstarke Ablenkungsdebatten. Es ist die AfD, die von Spaltung lebt – und die täglich versucht, die Spaltung, die sie braucht, auch herzustellen: zwischen Stadt und Land,
zwischen „denen da oben“ und „denen da unten“, zwischen Zugewanderten und Einheimischen. Der Monitor zeigt das Gegenteil: 80 Prozent der Menschen sagen, die Gleichwertigkeit aller Gruppen sei ihnen wichtig. Unser Land hält zusammen –
die AfD versucht, es auseinanderzureißen.

Und genau deshalb, meine Damen und Herren, ist die AfD das größte politische Hindernis für die Zukunft dieses Landes:

Sie leugnet Krisen, die gelöst werden müssen,

sie zerstört Vertrauen, das wir brauchen,

und sie bekämpft Veränderungen, die unser Land stark machen.

Wir hingegen hören zu und ziehen daraus unsere Schlüsse: Gerade weil Sachsen-Anhalt zusammenhält, gerade weil die Menschen hier bereit sind für Zukunft, lassen wir uns von den Schreihälsen der Spaltung nicht aufhalten. Die sozial-ökologische Transformation ist kein Projekt gegen die Menschen. Sie ist ein Projekt mit ihnen. Aus der Mitte unserer politischen Gemeinschaft heraus. Um dies umzusetzen, dafür stehe ich hier. Dafür steht meine Fraktion.  

Danke.