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GKV-Klage zeigt Finanzierungsfehler – Grüne fordern Bürgerversicherung

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Sehr geehrte Damen und Herren,

die Klage des GKV-Spitzenverbandes ist überfällig. Sie macht sichtbar, was wir seit Jahren kritisieren: eine strukturelle Schieflage in der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung. Endlich wird diese Schieflage juristisch aufgespießt.

Seit Jahren trägt die Solidargemeinschaft der gesetzlich Versicherten eine milliardenschwere Last. Denn die Steuerzuschüsse des Bundes decken bei Weitem nicht die Kosten für die so genannten versicherungsfremden Leistungen. Diese belaufen sich auf schätzungsweise über 50 Milliarden Euro jährlich. Welche Leistungen genau dazu zählen, ist im Detail umstritten – zum Beispiel bei der häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V oder bei Haushaltshilfen nach § 38 SGB V. Doch so unterschiedlich die Einschätzungen im Einzelnen sind: Klar ist, dass der Bundeszuschuss von derzeit 14,5 Milliarden Euro diese Kosten nicht ansatzweise abdeckt. Beitragszahlende finanzieren damit gesamtgesellschaftliche Aufgaben. Dafür gibt es eigentlich das allgemeine Steueraufkommen, also den Bundeshaushalt.

Die Ampelregierung wollte ursprünglich die jetzt beklagten Pauschalbeiträge für Menschen im Bürgergeldbezug übernehmen,  ebenso die Rentenbeiträge für pflegende Angehörige. Beide Kostenpunkte sollten in den Steuerzuschuss eingerechnet werden. Überdies war eine Dynamisierung des Zuschusses geplant. Soweit kam es leider nicht. 

Und die neue Bundesregierung? Bleibt im besten Falle vage. Ihr Koalitionsvertrag enthält nur eine Arbeitsgruppe und allgemeine Absichtserklärungen. Kein Konzept, keine Umsetzung. Die Klage der GKV ist daher konsequent – und eine Folge politischer Untätigkeit.

Aber sie greift nur einen Teilaspekt heraus. Sie adressiert ein Symptom. Nicht die Ursache.

Wir Grüne schauen auf die strukturellen Ursachen. Ja, versicherungsfremde Leistungen müssen aus Steuern finanziert werden. Aber das eigentliche Problem der GKV ist langfristig die demographische Entwicklung. Und genau deshalb braucht es endlich den Mut, nicht nur über Ausgaben zu reden, sondern über Einnahmen.

Die FDP? Spricht in ihrer Begründung zur Aktuellen Debatte ausschließlich über steigende Ausgaben. Kein Wort zur Einnahmeseite. Kein Konzept, wie ein solidarisch finanziertes Gesundheitssystem zukunftsfest gestaltet werden kann.

Dabei sind die Fragen doch klar:

Warum wird nur Erwerbsarbeit mit Sozialabgaben belastet, nicht aber Kapitalerträge oder Mieteinnahmen? Warum sollen Pflegekräfte, Verkäuferinnen oder Handwerker und ihre Arbeitgeber das Gesundheitssystem alleine tragen, während Vermögende außen vor bleiben? Und Gutverdienende mit der Beitragsbemessungsgrenze extra geschont werden.

Wertschöpfende Arbeit wird mit Beiträgen belastet. Passives Einkommen hingegen geschont. Warum? Warum einseitig produktive Arbeit teurer machen, aber passive Einkünfte nicht? 

Die Sachbearbeiterin bei Vonovia zahlt jeden Monat ihren Krankenkassenbeitrag. Aber die Kapitaleigner, die von Dividenden in Millionenhöhe profitieren, tragen nichts bei. Allein Vonovia schüttete dieses Jahr fast eine Milliarde Euro an Aktionäre aus – steuerlich begünstigt und beitragsfrei. An den Sozialversicherungen geht dieses Geld spurlos vorbei. In welcher Welt ist das gerecht?

Wir Grüne fordern eine echte Verbreiterung der Einnahmeseite: Eine Bürgerversicherung, in der nicht nur Erwerbsarbeit, sondern auch Kapitalerträge, Mieten und andere Einkommensarten zur Finanzierung beitragen. Eine Versicherung, die auch Selbstständige, Beamte und Abgeordnete einbezieht. Gesundheit geht uns alle an – also müssen sich auch alle beteiligen.

Gerade deshalb ist es bemerkenswert, dass die Aktuelle Debatte heute von der FDP beantragt wurde. Einer Partei, die auf Bundesebene maßgeblich verhindert hat, dass die Bürgerversicherung kommt. Eine Partei, die zur Finanzierungsfrage nichts beisteuert. Auch in ihrer Begründung zur Debatte: keine einzige konkrete Idee. Nur Problemwahrnehmung – keine Lösung. Ein politisches Vakuum. Wer ein Thema setzt, sollte auch etwas zu sagen haben.

Eines gilt es noch zu sagen. So richtig die Klage in der Sache ist. So transportiert sie doch unterschwellige eine sehr zwiespältige Botschaft. Gerade jetzt, in einer Zeit, in der mit der neuen Grundsicherung der strafende Sozialstaat neue Umstände feiert, befeuert die Klage abwertende Bilder von Menschen im Sozialbezug. Bilder, in denen Menschen auf bloße Kostenfaktoren reduziert werden. Menschen, die ohnehin schon unter öffentlicher Beobachtung stehen. Die erleben müssen wir mit neuen Sanktionen ihr Existenzminimum zur Disposition steht. Die erleben müssen, dass über die Frage diskutiert wird, ob ihnen überhaupt noch Wohnung oder Essen zustehen. Und jetzt eine Klage, die suggeriert: Auch ihre medizinische Versorgung sei eine Art Überforderung des Systems. Ein Ärgernis. Eine Belastung. 

Ich sage Ihnen ganz klar: Gesundheit ist ein Menschenrecht. Sie darf keine Frage des Einkommens sein. Keine Frage des Beschäftigungsverhältnisses. Wer krank ist, gehört zum Arzt. Wer einen Unfall hat, in die Notaufnahme. Punkt.

Die Klage suggeriert, Bürgergeldempfänger seien eine bloße Kostenstelle, die man sich gegenseitig zuschiebt. Menschen als Schwarze-Peter-Karte. Das dürfen wir nicht zulassen. Nicht moralisch. Nicht politisch. Und nicht als Sprachbild. Keinen würdigen Platz in der Gesellschaft zu haben, das haben wir als Politik den Menschen in der Grundsicherung jetzt wirklich vielfach zugemutet. Ein Sozialstaat, der dies nicht leistet,  der die Würde des Menschen zu unterlaufen droht, ist selbst würdelos. 

Darum ist es so wichtig, deutlich zu machen: Diese Klage richtet sich nicht gegen Menschen. Sondern gegen eine bestimmte Finanzierungspraxis. Gegen eine politische Verantwortungslosigkeit, die zu lange hingenommen wurde. 

Man kann und darf berechtigt fragen, wer für die Übernahme bestimmter Kosten verantwortlich ist. Aber die gemeinschaftlich getragene Verantwortung zur gesundheitlichen Versorgung aller steht außer Frage.

Für eine zukunftsfeste GKV braucht es:

• Eine solidarische Bürgerversicherung, die alle Einkommensarten einbezieht und für Angestellte wie für Selbstständige, Beamte und Abgeordnete gilt

•Eine saubere Trennung zwischen beitragsfinanzierten Leistungen und sogenannten „versicherungsfremden Leistungen“ . Also Schluss mit dem Verschieben der Verantwortung. Wer versicherungsfremde Leistungen anordnet, muss sie auch bezahlen. Das ist nicht nur finanzpolitisch vernünftig – es ist eine Frage der politischen Ehrlichkeit.

Mit diesen beiden grundsätzlichen Reformen wären Zusatzbeiträge der Kassen sicherlich kein Thema mehr.  

Vielen Dank