Rede Gewalt an Frauen geht uns alle an! Femizide verhindern und nicht verharmlosen! Prävention, Schutz- und Hilfsangebote und Täterarbeit ausbauen! 20. November 202426. November 2024 „Gewalt gegen Frauen: Femizide konsequent bestrafen | 20.11.2024“ von YouTube anzeigen Hier klicken, um den Inhalt von YouTube anzuzeigen. Erfahre mehr in der Datenschutzerklärung von YouTube. Inhalt von YouTube immer anzeigen Sehr geehrte Damen und Herren, nachts allein auf dem Nachhauseweg drehe ich mich auf der Straße um und überprüfe, ob mir jemand folgt. Das hat mir meine Mutter schon als Jugendliche beigebracht. Und ich wechsele die Straßenseite oder gehe schneller, wenn ich allein einem Mann begegne. Ich meide es, im Dunkeln Parks oder Parkplätze zu überqueren. Bedenken und Angst sind ein ständiger Begleiter, wenn ich nachts Straßenbahn, Zug oder Bus fahre. Während viele Männer sicherlich gerade mit den Schultern zucken oder sich über meine Angst lustig machen, werden viele – wenn nicht sogar fast alle – Frauen genau dasselbe empfinden. Die Ängste und Bedenken teilen. Und auch wenn diese Angst „draußen in der Welt“ nicht vollständig unbegründet ist, ist der größte Risikofaktor dafür, als Frau Opfer von Gewalt zu werden, in einer Beziehung mit einem Mann zu sein. Denn: Alle zwei Tage tötet in Deutschland ein Mann eine Frau in seinem Umfeld. Jeden einzelnen Tag findet ein Tötungsversuch statt. Fast jede dritte Minute erlebt eine Frau oder ein Mädchen häusliche Gewalt. Alle zwei Stunden erlebt eine Frau sexualisierte Gewalt durch ihren Partner. Und das sind Daten, die auf den Fällen basieren, die angezeigt wurden und bekannt sind. Die Dunkelziffer ist sicherlich um einiges höher. Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Kolleg*innen, wenn ich auf diese Zahlen schaue, bin ich entsetzt ob des Schweigens und der Sprachlosigkeit über diese Taten. Bei einem Teil der Empörungsöffentlichkeit ist es klar, warum sie dazu schweigen: Femizide lassen sich nicht so gut verhetzen, wie andere Gewalttaten. Aber warum schweigen WIR dazu so oft? Warum reagieren wir nicht konsequenter, hörbarer, lauter, warum schützen wir die Frauen und Mädchen nicht konsequenter? Auch wenn es hinter verschlossenen Türen passiert, Gewalt an Frauen ist keine Privatsache. Die Scham sollte nicht auf der Seite der Frauen liegen. Die Verantwortung, sich vor Gewalt zu schützen, darf nicht bei den Frauen liegen. Gewalt gegen Frauen geht uns alle an. Und es ist unser aller Aufgabe – auch die von Männern! – zu verhindern, dass Frauen Opfer von Gewalt werden. Doch leider scheint der Schutz von Frauen für die immer noch von Männern dominierte Politik einfach weniger sexy zu sein. In der Gesellschaft wird über Mitschuld von Frauen an Gewalt diskutiert und lieber über die Kleidung und das Verhalten des weiblichen Opfers fabuliert, als die Schuld des männlichen Täters in den Vordergrund zu stellen. Und in den Medien ist es inzwischen üblich, Gewalt gegen Frauen verbal zu verharmlosen. Statt eine mutmaßliche Vergewaltigung einer Mitarbeiterin durch einen Abgeordneten so zu benennen, schreiben regionale Tageszeitungen von einer „Hotel-Affäre“. Bei Femiziden wird meist von Familien-, Liebes- oder Beziehungsdramen geschrieben. Das alles suggeriert eine Mitschuld der Frau an der sexuellen und häuslichen Gewalt, die ihr widerfahren ist oder an ihrer Tötung. Und auch Gerichte tun sich mehr als schwer im Umgang mit Gewalt- und Tötungsdelikten gegen Frauen. Viel zu selten werden geschlechtsspezifische Tatmotive eines Femizids anerkannt und bei der Verurteilung berücksichtigt. Viel zu oft werden die wahren Gründe für einen Femizid, wie Misogynie, gekränkte Männlichkeit und wahrgenommene Besitz- und Kontrollansprüche vom Mann an der Frau von Gerichten nicht als Motive des Täters anerkannt. Stattdessen werden sie als Trennungstötungen oder Beziehungstaten von Gerichten verharmlost. Und gleichzeitig gibt es auch eine Ungleichbehandlung zwischen weißen Männern und Männern mit Migrationshintergrund bei Femiziden. Letztere erhalten für sogenannte Ehrenmorde oft viel höhere Strafen bei Frauentötungen als weiße Männer. Auch der Vergleich von Frauen, die ihre Partner töten, zu Femiziden, zeigt ein Ungleichgewicht in der Bestrafung auf. Denn während Frauen bei sogenanntem „Haustyrannenmorden“ für Mord mit bis zu lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft werden können, gilt dasselbe oft nicht für Männer bei Femiziden. Denn diese werden oft als Totschlag verurteilt, bei der nur in besonders schweren Fällen eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt wird. Um das Ganze noch mal verständlich zusammenzufassen: Wenn du als weißer Mann eine Frau tötest, kommst du wahrscheinlich mit einer geringeren Strafe davon, als wenn ein Mann mit Migrationshintergrund eine Frau tötet oder eine Frau einen Mann tötet. Frei nach George Orwells „Farm der Tiere“: Alle sind gleich, aber manche sind eben gleicher als andere. Und wie so oft in unserer Gesellschaft sind es eben weiße Männer, die bevorzugt werden. Um es hier ganz deutlich zu sagen: Femizide sind Mord! Und sie MÜSSEN auch so bestraft werden. Doch die Bestrafung von Femiziden ist nicht das einzige Problem in unserem juristischen System in Bezug auf Gewalt gegen Frauen. Denn viel zu oft werden Frauen, die häusliche und sexuelle Gewalt erfahren haben, durch die Befragung im Gerichtssaal retraumatisiert. Dabei gibt es Fortbildungsangebote für Richter*innen und Anwält*innen. Zum Beispiel bietet Wildwasser e.V. so etwas an. Doch wenn man da nachfragt, inwieweit solche Fortbildungen von den Jurist*innen genutzt werden, dann bekommt man die Antwort: kaum bis gar nicht. Mit verpflichtenden Fortbildungen für Jurist*innen über den sensiblen Umgang mit Opfern von sexueller und häuslicher Gewalt sowie einer Klärung, wie Frauentötungen zu bestrafen sind, wären wir bereits einen Schritt weiter. Dazu kann und muss man diskutieren, ob es einen neuen Straftatbestand Femizid braucht, um die unsägliche Ungleichbehandlung von Mord an Frauen vor Gericht zu beenden. Und natürlich kann und muss gehandelt werden, bevor es zum Femizid kommt, um Frauen besser zu schützen. Auch hier in Sachsen-Anhalt. Und dazu möchte ich gleich zu Beginn betonen: In den letzten Jahren sind viele Verbesserungen zum Schutz von Frauen vor Gewalt auf den Weg gebracht worden – großen Dank dafür an unsere Sozialministerin Frau Grimm-Benne. Insbesondere, dass der Landesaktionsplan zum Schutz von Frauen vor Gewalt endlich startet, ist ein großer Erfolg. Damit wurde eine jahrelange Forderung von Frauenverbänden und auch von uns Bündnisgrünen umgesetzt. Und dennoch lässt sich für Sachsen-Anhalt immer noch feststellen: Die Hilfsangebote für Frauen, die in Sachsen-Anhalt Gewalt erleben, sind ungleich verteilt und teilweise voll ausgelastet. Insbesondere in ländlichen Regionen gute Beratungs- und Hilfsstrukturen für von Gewalt betroffene Frauen zu schaffen und aufrecht zu erhalten, ist in einem Flächenland wie Sachsen-Anhalt eine Herausforderung. Viel zu oft noch müssen Frauen weite Wege auf sich nehmen, um ein Hilfsangebot zu erreichen. Diese schwierige Situation wird dadurch verstärkt, dass Beratungs- und Hilfsstrukturen für von Gewalt betroffener Frauen oft personell unterbesetzt sind. Gleichzeitig müssen Schutz- und Hilfsorganisationen oft einen Eigenbetrag bei der Finanzierung erwirtschaften. Dies führt dazu, dass Mitarbeiter*innen, statt sich auf die Beratung und Hilfe für Frauen zu konzentrieren, zum Beispiel Vorträge auf Kongressen anbieten müssen, um den Eigenbetrag zu finanzieren. Das muss endlich aufhören. Bund und Land müssen gemeinsam die Finanzierung der Hilfs- und Schutzstrukturen für von Gewalt betroffene Frauen übernehmen. Gleiches gilt für die Finanzierung der Frauenschutzhäuser. Denn es ist eine weitere Hürde beim Zugang zu Hilfe für schutzsuchende Frauen, dass Frauen für ihren Aufenthalt in einem Frauenhaus zahlen müssen. Der Tagessatz für einen Aufenthalt im Frauenhaus liegt etwa zwischen 25 und 100 Euro pro Frau. Das geht nicht. Eine Frau, die Hilfe vor Gewalt sucht, hat mehr als genug Sorgen. Davon sollte keine sein, dass sie sich noch überlegen muss, wie sie ihren Aufenthalt im Frauenhaus finanzieren soll. Und weil es genau diese und mehr Herausforderungen beim Schutz von Frauen vor Gewalt gibt, hat unsere bündnisgrüne Frauen- und Familienministerin Lisa Paus auf Bundesebene ein neues Gewalthilfegesetz entworfen. Mit diesem Gewalthilfegesetz sollten Frauen in ganz Deutschland flächendeckend und rund um die Uhr Hilfe und Unterstützung finden. Und zwar unabhängig davon, wo sie wohnen, wie hoch ihr Einkommen und wie ihre körperliche Verfassung ist. Mit dem Gesetz sollte das Grundrecht auf körperliche und seelische Unversehrtheit und die Verpflichtungen aus der Istanbul-Konvention konkret umgesetzt werden. Es sollten notwendige Maßnahmen gesetzlich geregelt werden, um präventiv tätig zu werden, Gewalthandlungen vorzubeugen oder zu verhindern und Gewaltkreislaufe zu unterbrechen. Und: Mit dem Gewalthilfegesetz sollte endlich geregelt werden, dass Leistungen in Schutzeinrichtungen und Fachberatungsstellen für Betroffene kostenfrei sind. Dafür war vorgesehen, dass der Bund sich mindestens bis 2036 an der Finanzierung eines bedarfsgerechten Hilfesystems in den Ländern beteiligt. Und genau hier liegt der Knackpunkt und der Grund, warum ich beim Gewaltschutzgesetz von “hätte, wäre, wenn..“ rede. Denn wie so oft – und spätestens seit dem letzten Wochenende und den Veröffentlichungen von der Zeit und der Süddeutschen Zeitung – habe ich so ne Ahnung, warum auch dieses Gesetz viel zu lange gedauert hat und es nun auch wohl erstmal nicht kommen wird. Die Vermutung liegt nahe, dass auch dies eines dieser Gesetze war, die die FDP mit der Absicht blockiert hat, den Ampel-Bruch zu provozieren. Und am Ende werden Frauen darunter leiden müssen. Ein Punkt ist übrigens ebenso wichtig wie der Schutz der Frauen. Nämlich, dass Männer keine Täter werden. Und deswegen braucht es mehr Präventionsangebote in Sachsen-Anhalt. Gewaltauffällige Männer sollten an Therapiemaßnahmen teilnehmen. Es braucht mehr Bildungs- und Aufklärungsangebote zu Männlichkeitsbildern und welchen Einfluss diese auf gewaltvolles Verhalten von Männern gegenüber Frauen haben. Und das von Anfang an in der Bildung. Femizide. Häusliche und sexuelle Gewalt. Das ist trauriger Alltag für Frauen in Deutschland. Und Täter sind Männer. Und ja, es sind nicht alle Männer Täter, aber: Der Täter ist meistens ein Mann. Wir Bündnisgrüne kämpfen dafür, dass Frauen vor Gewalt und Mord geschützt werden. Wir Bündnisgrüne kämpfen für ein Land, in dem Frauen sicher sind und sich auch so fühlen. Denn das ist Gerechtigkeit. Vielen Dank.