Sehr geehrte Damen und Herren,
Selbstverwaltet oder fremdbestimmt – das ist die Gretchenfrage für meine Profession, die Pflege. Stand jetzt arbeiten die Pflegeberufe in Sachsen-Anhalt vollständig fremdbestimmt. Und das trotz der in den letzten Jahren exorbitant gewachsenen eigenen wissenschaftlichen Grundlage. Pflege ist längst nicht mehr der Hilfs- und Assitenzberuf, die sie historisch einmal war. Und dennoch: die Ausbildungsinhalte sind fremdbestimmt, verbindliche Fortbildungspflichten fehlen, eine starke berufspolitische Stimme existiert in Sachsen-Anhalt nicht. Und die Steuerung der Fachkräfteplanung erfolgt im Blindflug, weil wir nicht wissen, wie viele Pflegefachpersonen mit welchen Qualifikationen in unserem Land arbeiten. Das hat sich in der Pandemie als Problem gezeigt und das ist in einer zunehmend unsicher werdenden Zeit weiterhin eines. Ein resilientes Gesundheitssystem sieht anders aus.
Und wir wollen das mit unserem Antrag ändern. Wir wollen zentrale Aufgaben endlich in die Hände einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen Pflege legen.
Es geht dabei nicht nur um berufspolitische Selbstverwaltung, sondern um die Grundlage einer modernen Gesundheitsversorgung. Erst mit verlässlichen Daten können wir Ausbildung, Weiterbildung und Personalplanung vorausschauend gestalten. Erst dann können wir realistische Krisen- und Notfallkonzepte entwickeln – vor dem Hintergrund des demografischen Wandels wäre alles andere schlicht fahrlässig. Deshalb schlägt unser Antrag die Errichtung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts mit verpflichtender Registrierung aller Pflegefachpersonen vor – die erste vollständige Datengrundlage für Sachsen-Anhalt.
Pflichtige Registrierung. Freiwillige Mitgliedschaft. Damit lösen wir den zentralen Konflikt in der Pflegekammerdiskussion, die die berufliche Pflege jahrelang geschlossen hat. Keine Zwangsmitgliedschaft, keine Zwangsbeiträge. An dieser Frage erhitzten sich bislang die Gemüter. Natürlich verleitet ein Zwangsbeitrag nicht zu Jubelstürmen unter den Pflegekräften. Der abgebuchte Betrag auf dem Konto fällt direkt auf, wirkt unmittelbar. Die positiven Effekte einer professionellen Selbstvertretung zeigen sich hingegen oft erst mittel- und langfristig. Was man für sein Geld eigentlich bekommt, ist schwer zu vermitteln – gerade in einem Berufsfeld, in dem weiterhin deutlich weniger verdient wird als in anderen „verkammerten“ Berufen wie Ärzt*innen, Anwält*innen oder Ingenieur*innen.
Zwischenzeitlich sah es, trotz der wirklich heftigen Debatten dazu, nach einer Entwicklung aus, die ich persönlich wirklich ermutigend fand: Anfang der 2020er-Jahre gab es bereits vier Landespflegekammern, in Bayern zumindest die Vereinigung der Pflegenden und sogar eine Bundespflegekammer. Dann aber votierten große Mehrheiten der Pflegefachkräfte in Schleswig-Holstein und Niedersachsen für die Abschaffung ihrer Kammern. Leider hatte sich das Bild durchgesetzt, dass die Kammern von oben gegen die Interessen der Pflegenden durchgedrückt worden seien. Die Gegen-Kampagnen der Gewerkschaften taten ihr Übriges. Und dann war es eben leider wirklich oft so, dass der erste und einzige Kontakt der Fachkräfte mit der Pflegekammer der Gebührenbescheid war – natürlich fatal. Mit der Abwicklung der Kammern in zwei Bundesländern schien die Debatte am Boden.
Aber – ein ganz großes ABER: Die früheren Pflegekammern in Niedersachsen und Schleswig-Holstein sind nicht an der Idee, gescheitert, nicht deshalb, weil sie unnötig gewesen wären, sondern an der Finanzierung und an mangelnder Kommunikation. Das machen wir anders. Wir wollen eine freiwillige Mitgliedschaft, und das Land übernimmt die finanzielle Absicherung der neuen Selbstverwaltung, denn ihre Aufgaben – Qualitätssicherung, Weiterbildung, Personalplanung, Krisenfestigkeit – sind Aufgaben im öffentlichen Interesse. Und wir werden von Anfang an transparent kommunizieren und die Pflegenden aktiv einbinden – denn diese Selbstverwaltung soll ihre eigene sein. Dazu gehört auch das forcierte Werben für die freiwillige Mitgliedschaft.
Blicken wir nach Bayern: Dort wurde 2017 die Vereinigung der Pflegenden in Bayern (VdPB) gegründet – eine Körperschaft des öffentlichen Rechts mit freiwilliger und beitragsfreier Mitgliedschaft. Die VdPB ist heute die anerkannte Stimme der Pflege in Bayern. Sie wirkt an Gesetzgebungsverfahren mit und vertritt die Pflegenden in wichtigen Gremien. Zudem führt sie seit Sommer diesen Jahres das landesweite Pflegeberuferegister, Derzeit erarbeitet die VdPB auch eine Berufsordnung – und zwar ausdrücklich MIT der Berufsgruppe, in einem offenen, partizipativen Prozess. All das gelingt ohne Zwangsmitgliedschaft und ohne Pflichtbeiträge. Was in Bayern allem Anschein nach gelingt, schaffen auch wir.
Mit unserem Antrag wollen wir genau diesen erfolgreichen Weg nun in Sachsen-Anhalt gehen. Was soll die neue Pflegeselbstverwaltung leisten? Sie soll unter anderem:
• eine Berufsordnung für die Pflege erstellen und überwachen,
• ein vollständiges Register aller Pflegekräfte führen,
• Fort- und Weiterbildungsordnungen entwickeln und deren Einhaltung überwachen,
• Weiterbildungsangebote akkreditieren,
• das Befugniserweiterungsgesetz umsetzen, insbesondere die Akkreditierung für heilkundliche Tätigkeiten,
• eine unabhängige Beschwerdestelle einrichten,
• die wissenschaftliche Weiterentwicklung der Profession fördern,
• und die Pflege berufspolitisch vertreten, zum Beispiel im Gremium nach § 90a SGB V.
All diese Aufgaben dienen dem Ziel, die Pflege durch starke Qualitätssicherung und -entwicklung voranzubringen. Und sie dienen der Gesellschaft, denn so sichern wir die pflegerische Versorgung in Sachsen-Anhalt und erhalten verlässliche Daten über Personal und Qualifikationen als Grundlage für Fachkräfteplanung und Krisenvorsorge.
Also warum sollten allein die Pflegenden diese Aufgaben finanzieren? Ganz genau – mir fällt wirklich kein Grund ein. Wir wollen diese Pflegeselbstvertretung gesetzlich und finanziell durch das Land absichern.
Nun könnte man natürlich trotzdem fragen: braucht es das alles. Die sollen halt einfach ihren Job machen, so wie die Ärzte ihnen das sagen, so wie es früher war. Ging doch auch… Liebe Kolleginnen, diese Zeiten sind vorbei. Sie sind es nicht nur, weil die Professin heute über ein größeres Selbstbewusstsein verfügt, über eigene Expertise, sie sindes auch, weil wir es uns als Gesellschaft nicht leisten können, auf diese eigenständige Kompetenz zu verzichten, wenn wir die Gesundheitsversorgung auch zukünftig sicherstellen wollen.
Die professionelle Selbstvertretung gehört in diesen größeren Entwicklungsrahmen. Sie korrespondiert mit der Akademisierung der Pflegeberufe und liegt auf einer Linie mit dem Kompetenzstärkungsgesetz des Bundes. Die Pflege ist dabei, sich als Profession zu etablieren und zu einem gleichberechtigten Akteur im Gesundheitswesen zu werden, der eigene Kompetenzen und Perspektiven in moderne multiprofessionelle Teams einbringt. Ein Standard, der europa- und weltweit überwiegend längst realisiert ist. Nur Deutschland hinkt mit seiner historisch gewachsenen starken Arztzentrierung immer noch weit hinterher. Leisten können wir uns das nicht mehr.
Gehen wir von der Zielstellung gleicher Augenhöhe aus, dann braucht es in der Selbstverwaltung unseres Gesundheitssystems eine eigene Vertretung, die die Geschicke des größten Berufsstandes im Gesundheitswesen eigenverantwortlich in die Hand nimmt. Wir wollen eine Pflege auf Augenhöhe mit der Ärzteschaft. Auf Augenhöhe mit den Kassen. Als Teil des Gremiums nach § 90a SGB V auf Landesebene. Als Teil des Gemeinsamen Bundesausschusses.
Bis das alles selbstverständlich ist, sind viele Bretter zu bohren. Eines wollen wir mit unserem Antrag hier und heute fein säuberlich zurechtzimmern: Wir schaffen eine klare gesetzliche Grundlage – als Arbeitsauftrag an das Land.
Nur wenn die Pflege als eigenständige Profession mit Ansehen, Karrierewegen und Anerkennung sichtbar wird, können wir nachhaltig mehr Fachkräfte für diesen Beruf gewinnen. Pflege ist so viel mehr als Händchen halten, Essen reichen, ein gutes Herz haben. Pflege im 21. Jahrhundert ist eine evidenzbasierte Handlungswissenschaft. Professionell. Selbstbewusst. Selbstbestimmt.
Wenn die jungen Menschen im Land das verinnerlichen, dann wird die Fachkräftegewinnung einen ganz neuen Schub bekommen. Und diesen neuen Schub wollen wir heute auslösen. Mit unserem Antrag zünden wir die nächste Stufe, um die Pflege in Sachsen-Anhalt auf die Höhe der Zeit zu bringen.
Danke.