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Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes: Fehlende Verhandlungskultur und viele offene Schiedsstellenverfahren

https://youtu.be/1Xt3hZWC9To

Sehr geehrte Damen und Herren,

im Mai letzten Jahres haben wir im Sozialausschuss in einer großen Anhörung vieles über das Wirken, die Fortschritte und Schwierigkeiten in den Verhandlungen der Träger der Eingliederungshilfe mit der Sozialagentur gehört. Die große Herausforderung damals wie heute war, die Finanzierung der Eingliederungshilfe mit Hilfe einer Konkretisierung des bereits vorliegenden Landesrahmenvertrags so auszugestalten, dass sie zum neuen Bundesteilhabegesetz passt. Dass sie auch in der Finanzierungsstruktur dem Teilhabegedanken entspricht, der den Menschen, mit seinen besonderen Herausforderungen und Bedürfnissen, ins Zentrum der Betrachtungen rückt und nicht länger von Einrichtungen her denkt. Man könnte meinen, diese Veränderung passe den Trägern nicht, weil sie Beantragungen und Berechnungen komplexer macht und damit verkompliziert (und ganz sicher gibt es an einigen Stellen, zum Beispiel im Feld der Kosten der Unterkunft strukturell noch dringenden Nachbesserungsbedarf). Aber nein: wir alle haben nicht nur im Sozialausschuss erlebt, dass die Träger in Sachsen-Anhalt sich engagiert auf den Weg gemacht haben, diese neue Perspektive nicht nur mit Leben erfüllen, sondern als wichtig benennen und verteidigen.

Aber es hakt. Obwohl das Land ein eigenes Gremium eingesetzt hat, GK131 genannt, um erst den Rahmenvertrag zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes in Sachsen-Anhalt zu verhandeln und jetzt dessen weitere Untersetzung, und das gesetzeskonform bis zum Ende der Übergangsfristen in diesem Jahr, gab es schon im Mai letzten Jahres einen bemerkenswerten Stau an dieser Stelle. 

Und es lagen schon damals etwa 380 offene Schiedsverfahren vor, bei denen es um die Anpassung von Leistungsgewährungen an konkret gestiegene Kosten ging.

Dennoch gab es im Sommer letzten Jahres durchaus Anlass zu Optimismus mit Blick auf die hiesige Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes. 

Das Land, also zuvorderst die Sozialagentur und die Leistungserbringer, also zuvorderst die LIGA schienen ihre Konflikte von Anfang 2022 beigelegt zu haben. Da schien das Sozialministerium in Person des Staatssekretärs sehr konstruktiv und schlichtend gewirkt zu haben. Der LIGA Vertreter schilderte beinahe euphorisch das neu gefundene Vertrauen und blickte optimistisch auf den weiteren Fortgang der Verhandlungen. Das Jahr 2023 sollte reichen, um die Verhandlungen erfolgreich abzuschließen und den Übergangszeitraum zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes damit zu beenden.

Davon scheint nur wenige Monate nach dem Jahreswechsel nicht mehr viel übrig zu sein.

Gleichzeitig spitzt sich allem Anschein nach eine Situation weiter zu und eskaliert geradewegs, die auch schon im Mai 2022 intensiv im Ausschuss diskutiert wurde. Die Verhandlungen zwischen Sozialagentur und einzelnen Trägern in Sachen Vergütung und Leistungsvereinbarungen. Und die aus gescheiterten Verhandlungen anwachsende Zahl an Schiedsstellenverfahren.

Seinerzeit waren etwa 380 Schiedsstellenverfahren offen. Aktuell reden wir von fast doppelt so vielen.

Es scheint, der Teil der sehr kritischen Kommentare aus dem Fachgespräch im Mai haben sich trotz aller Verlautbarungen, Ankündigungen und sicherlich engagierter Arbeit auf Seiten der Verwaltung und der Landesregierung bewahrheitet.

Tatsächlich muss man heute konstatieren, dass die Situation, gerade hinsichtlich der Schiedstellenverfahren immer schwieriger wird. Und dieses Schlimmer werden sind ja nicht einfach zwei verhakelte Verhandlungspartner, dieses schlimmer werden hat konkrete Folgen. Folgen für die Betroffenen, deren Bedarfe bei all dem mindestens aus dem Blick rutschen und schlimmstenfalls nicht ausreichend erfüllt werden können. Für diejenigen Menschen, die beim neuen Bundesteilhabegesetz eigentlich im Mittelpunkt der Betrachtung stehen sollten.

Es kann „so“ einfach nicht weitergehen. Was genau meine ich damit? Sicherlich hat das Land die schwierige Aufgabe, die Widersprüche im BTHG irgendwie handhabbar zu machen: Leistungen personenzentriert zu entwickeln und gleichzeitig Kostenneutralität zu wahren. Dass dies schlicht nicht möglich ist, sollte auf der Hand liegen: Es ist immer finanziell günstiger Menschen in großen Einrichtungen unterzubringen an deren Strukturen sich dann die Betroffenen anpassen müssen, als individuelle Hilfen personenzentriert im besten Fall in der eigenen Häuslichkeit zu leisten und zu finanzieren.

Dieser Zielkonflikt ist schwer aufzulösen und wird konstruktive Verhandlungen mit den Leistungserbringern sicherlich oftmals unterlaufen. Gerade mit einem CDU-Finanzminister im Nacken, keine Frage. Aber dennoch und gerade weil die Gesamtsituation schwierig ist, braucht es ein Verhandeln auf Augenhöhe. Und diese fehlende Augenhöhe ist es, was so nicht weiter gehen darf.

Gleiche Augenhöhe heißt: Kooperativ zu handeln, weil man sich dem gleichen Ziel verschrieben hat. Dem gemeinsamen Ziel von Leistungserbringern und vom Kostenträger: die bestmögliche Lösung für den betroffenen Menschen zu finden Das Ziel kann eben nicht sein, von zwei Seiten das jeweilige Bild oder die jeweilige Idee davon zu verteidigen, wie sich die Situation darstellt. Sich also in reiner Konfrontation zu verhaken.

Eine Verhandlungskultur mit gemeinsamen Ziel, dieses Vertrauensklima scheint es in Sachsen-Anhalt nur ungenügend zu geben. Ansonsten würden die Verhandlungen auf Ebene der GK 131 und auch die konkreten Leistungs- und Vergütungsverhandlungen nicht regelhaft in Sackgassen münden, aus denen dann langwierig heraus manövriert werden muss. 

Vertrauen neu zu schaffen, ist natürlich überaus schwierig. Wenn Porzellan erstmal zerschlagen, wenn das Tischtuch erstmal zerschnitten ist, sind Wege zur Kooperation und einem grundsätzlichen Wohlwollen schwierig. Es braucht da schlicht und ergreifend einen Vertrauensvorschuss durch das Land. 

Wollen wir vertrauensvolle Verhandlungen befördern, dann muss das Land samt seiner Behörde mit einem Vertrauensvorschuss in die Verhandlungen einsteigen. Mit der positiven Annahme, dass die Einrichtungen das Beste für ihre Klienten wollen. Und eben nicht mit der negativen Unterstellung, dass die Einrichtungen im Sinne eines allein ökonomischen Kalküls für sich einfach nur das betriebswirtschaftlich profitabelste Ergebnis wollen.

Trauen wir den Einrichtungen im Land zu, dass sie über das eigene Portemonnaie hinausdenken und ihren Werten als Wohlfahrtsverbände folgen. 

Und von der anderen Seite her betrachtet: ebenso lenkt die Verhandlerinnen der Sozialagentur nicht nur ihre Krämerseele, sondern das ehrliche Anliegen, den Menschen mit Behinderungen volle Teilhabe zu ermöglichen. Wenn diese positiven Fremdbilder wirken, dann wird immer noch hart verhandelt. Aber ohne die Unterstellung niederer Motive. Das wäre eine Verhandlungskultur, die lösungsorientiert vorgeht, die Kompromisse findet, nicht nur als kleinsten gemeinsamen Nenner, sondern als gemeinsam entwickelte Lösung unter Anerkennung verschiedener Interessenlagen.  

Ich begrüße es überaus, dass – wie zu hören ist – die Verhandlungsparteien der GK 131 die Option ziehen sich zukünftig durch einen Mediator beraten zu lassen und ihr Gesprächssetting grundlegend bearbeiten zu wollen. Soviel Einigkeit besteht noch und darauf lässt sich aufbauen. Und das scheint nach vielen in diesen zehn Jahren ein meines Wissens neuer Weg zu sein.

Ich hoffe, eine gute Lösung findet sich auch für die anscheinend etwa 700 laufenden Schiedsstellenverfahren.  

Ich setze darauf, dass wir zum Thema Sachkosten in der Eingliederungshilfe spätestens für 2024 eine einheitliche Lösung finden, die den Kostensteigerungen gerecht wird. 

Ich setze darauf, dass in Einzelverhandlungen und Schiedsverfahren drohende Zahlungsengpässe unbürokratisch berücksichtigt und mit entsprechenden Vereinbarungen abgewendet werden. 

Und zum Abschluss: ich hatte ob der Problemanzeigen seitens der Leistungserbringer im Januar im Sozialausschuss um einen aktuellen Bericht zum Verhandlungsstand der GK 131 gebeten. Das ist vom Haus zugesagt worden. Ich gehe davon aus, dass angesichts der Lage dieser Bericht im nächsten Ausschuss im April vorliegt.

Danke.