Liebe Freundinnen und Freunde,
ich komme aus Sachsen-Anhalt, Ostdeutschland. Ja dieser Landstrich, von aussen irgendwas zwischen exotische Provinz und bedrohlichem Dunkeldeutschland. Doch von innen betrachtet sage ich ganz selbstbewusst und fröhlich: so isses garnicht!
Und trotzdem stehe jetzt hier, um unserer Auswertung der Bundestagswahl eine ostdeutsche Perspektive hinzuzufügen, weil es dringend nötig ist. Damit nicht verloren geht, was bei uns im Land gerade verrutscht. Damit wir als Partei nicht beim Erschrecken stehenbleiben und dann weitermachen wie bisher, weil unsere Stärke in den Hochburgen ja bisher doch immer ausgereicht hat….
In Sachsen-Anhalt haben bei der Bundestagswahl fast 40 Prozent die AfD gewählt – in unserem Land gesichert rechtsextrem. Die CDU kam nicht einmal auf 20 Prozent, und alle Direktmandate gingen an die AfD. Noch deutlicher als anderswo zeigt sich: Friedrich Merz hat sich verzockt, und die ostdeutsche CDU hat sich sogar in noch weitere Verluste verzockt. Wer mit Parolen der Rechtsextremen Stimmen fangen will, holt sich eine blutige Nase und gewinnt keine einzige zusätzliche Stimme.
Wir haben ein massives Problem mit Rechtsextremismus – sowohl auf unseren Straßen als auch in den Parlamenten. Und Ja: das betrifft nicht nur Ostdeutschland. Doch hier vollzieht sich das Ganze in einer Gesellschaft, die deutlich stärker polarisiert ist als im Westen. Die bürgerliche Mitte ist kaum noch vorhanden, der demokratische Grundkonsens nur noch ein dünner Firnis. Brandmauern gegen Rechtsextremisten sind löchrig oder stehen nur noch symbolisch herum. Faktisch wird die AfD längst politisch einkalkuliert, um vermeintlich konservative Mehrheiten zu sichern.
Und nur noch 30 % der Menschen im Osten bejahen unsere Demokratie, so wie sie ist. Wie und wohin biegen wir denn an dieser Stelle ab?
Problembeschau allein hilft weder den Frustrierten, die gefährliche Wahlentscheidungen treffen, noch denen, die unter diesen Entscheidungen leiden. Wir müssen Antworten finden auf Jahrzehnte des Zorns, Transformationsfrust und eine gefühlte Abwertung durch den Westen– Faktoren, die zur Entfremdung zwischen Ost und West beitragen und den Veränderungsmut im Osten hemmen.
Wer Antworten sucht, muss zuhören – nicht nur Geschichte, sondern Geschichten. Geschichten über einen Umbruch, den die Meisten als Objekt, nicht als Subjekt der Veränderungen erlebten, der erst blühende Landschaften versprach und dann Arbeitslosigkeit und Standortpolitik mit Ausbeuterlöhnen brachte.
Aber auch die von meiner Heimatstadt Quedlinburg: 1989 waren ihre Fachwerkhäuser zum Abriss freigegeben; heute ist sie ein Welterbe-Schatz. Oder von der Elbe, einst ein dreckiger Strom, in dem man jetzt wieder schwimmen kann.
Diese Geschichten sind Teil unserer Partei-DNA, denn wir im Osten sind Teil dieser Partei und unsere Mitglieder haben diese Geschichte gestaltet. Und dennoch gibt es da dieses Fremdkörpergefühl.
Ein anderer Teil der Antwort liegt in der aktuellen Transformation: Diese historische Chance muss genutzt werden, um Wirtschaft zukunftsfähig zu machen, Arbeitsplätze zu sichern und gute neue Jobs zu schaffen. Veränderungsmut und Zukunftshoffnung entstehen durch Verbesserungserfahrungen – und genau diesen Mut und diese Hoffnung brauchen wir als Medizin gegen die radikale Fortschrittsverweigerung der AfD.
Wir Grünen sind diejenigen, die Bündnisse suchen und sich mit der Zivilgesellschaft unterhaken – um unser Land zu verteidigen: unsere Zukunft, unseren Zusammenhalt und unsere Solidarität. Das hat uns stark gemacht – in Brokdorf und Leipzig wie heute und hier.
Doch das muss erkennbar bleiben! Und da hilft als Antwort auf eine eh schon verrutschte Migrationsdebatte kein weiteres 10-Punkte-Papier! Viele unserer Bündnispartner:innen hätten sich an dieser Stelle mehr Klarheit gewünscht und stattdessen Antworten auf die Fragen die der Lebenswirklichkeit der Menschen entspringen: soziale Gerechtigkeit für Familien, Wohnraummangel und Mietendruck und die Herausforderungen beim Natur- und Klimaschutz, Abwanderung und Überalterung in den ländlichen Räumen. Diese Klarheit haben andere aufgebracht. Und wir haben Vertrauen verloren.
Besonders im Osten hat uns dieser Verlust im progressiven Lager geschadet und trotzdem stehe ich hier optimistisch und zuversichtlich.
In meinem Kreisverband, dem KV Harz sind wir gerade ein tausendstel aller Bündnisgrünen. Das ist viel! Wir haben den besten Wahlkampf aller Zeiten hinter uns! Wir sind vernetzt und sichtbar; wir machen Angebote und Ansagen, die gehört werden. Deshalb bin ich sicher: Wir werden auch nach 2026 in Sachsen-Anhalt als starke Grüne das Land mitgestalten – genauso wie in Mecklenburg-Vorpommern. Wenn wir als gesamte Partei uns unterhaken. Wenn die Ideen für den Osten nicht nur als Ostding verstanden werden, sondern die ganze Partei sie nutzt, weil wir daran gemeinsam wachsen werden und weil fürs ganze Land eine Chance darin steckt, aus den Herausforderungen bei uns zu lernen.
Und ja. Es geht auch um Repräsentanz! Wir als Bündnis 90/Die Grünen haben beim Thema Repräsentanz gemeinsam schon auf so vielen Feldern so viel erreicht, da dürfen wir bei der Ostrepräsentanz nicht aufhören! Wir werden im Osten Erfolg haben, wenn wir unsere ostdeutsche DNA sichtbar machen. Selbstbewusst und selbstverständlich.
Und wenn wir die Wahlkämpfe im Osten gemeinsam rocken! Dazu lade ich euch heute schon ein. Und an unsere Küchentische – für die Geschichten und zum ernsthaften Zuhören.