Sehr geehrte Damen und Herren,
Kurz war die Phase, in der Deutschland sich darauf besonnen hat, eine soziale Marktwirtschaft zu sein. Und dass unser Sozialstaat Solidarität und Vertrauen verspricht, und Eigenverantwortung mit positiven Anreizen stärkt. Sie endet rabiat mit einem Wintereinbruch sozialer Kälte. Das was aus den Maschinenräumen der KleiKo nach außen dringt, klingt nicht nach Herbst der Reformen, sondern nach Reform-Blizzard. Dass die SPD höchstselbst wieder Armut per Gesetz einführen will, das erschüttert mich. Das ist keine neue Grundsicherung. Das ist der gruselige Wiedergänger von Hartz IV. Seien sie da bitte einfach ehrlich mit den Menschen im Land. Sie wollen Hartz IV wiederbeleben. Neue Grundsicherung ist eine billige Fassade. Da ist grundsätzlich nichts neu dran. Alles ist bitter bekannt.
In der aktuellen Grundsicherung waren die sogenannte Karenzzeit beim Eigenvermögen und die Schonfrist bei der Wohnungsmiete Maßnahmen, um Menschen, die mit einer Kündigung, einem Jobverlust konfrontiert sind, zu entlasten. Ihnen zu ermöglichen sich frei von existenziellen Sorgen beruflich neu zu orientieren, sich zu arrangieren mit neuen Gegebenheiten.
Wer unter der neuen Grundsicherung arbeitslos wird, muss nicht nur plötzliche Arbeitslosigkeit verkraften und sich wieder neu aufbauen für die weitere berufliche Entwicklung, nein er muss auch um sein Erspartes und seine Wohnung bangen. Managen sie mal einen Umzug, wenn der Job gerade weg ist. Finden sie in den Ballungsräumen gerade als Familie mal eine Wohnung mit angemessener Miete. Kratzen sie mal einige tausend Euros zusammen, um die neue Kaution vorzustrecken, wenn gerade ihr Einkommen weggebrochen ist. Und dann ist nicht nur der Job mit der sozialen Eingebundenheit bei den Kolleg:innen verloren, sondern auch die Nachbarschaft, das vertraute Umfeld, vielleicht noch die Kita der Kinder, oder sie haben einen längeren Schulweg. Und das verehrte Kolleginnen und Kollegen ist das best case Szenario der neuen Grundsicherung. Denn diese Regelungen werden in weniger guten Fällen mit Sicherheit zu signifikant mehr Zwangsräumungen führen, zu mehr Obdach- und Wohnungslosigkeit. Zu mehr Verzweiflung, Ohnmacht und Angst bei den Betroffenen.
Und härtere Sanktionen führen vor allem zu einem: Leere Kühlschränke am Ende des Monats. Kalte Wohnungen. Verschlissene Kleidung. Und ganz bestimmt nicht zu mehr guter Arbeit. Wenn überhaupt befördert eine rabiate Grundsicherung Ausbeutung und schlechte Jobs. Wer den Sozialstaat hier autoritär aufstellt, treibt die Menschen in Ausbeutungsverhältnisse, weil die Drohung der Arbeitslosigkeit dann noch schwerer wiegt.
Arbeitslosigkeit ist dann nicht nur Einkommensausfall von dem einen auf den anderen Tag, sondern eine Totalkatastrophe. Genau davor soll der Sozialstaat schützen. Genau dort liegt der Wert sozialer Gerechtigkeit. Aber nicht mit Kanzler Merz und anscheinend auch nicht mit Bärbel Bas.
Und mit Harzt IV reloaded hört es ja nicht auf. Nicht nur bei den Ärmsten soll gekürzt werden. Nein auch demenziell erkrankten Menschen will man ggf. Leistungen kürzen. Der Pflegegrad I steht offenbar zur Disposition. Mag ja sein, dass von der Berliner Regierungsbank die in diesem Pflegegrad ausgezahlten Gelder für Einzelne als verzichtbar erscheinen, aber dafür braucht es schon eine besondere Ignoranz. Schaut man sich den Alltag der Menschen an, ist schnell zu erkennen, dass der Pflegegrad I wirklich hilft.:
Zum Beispiel Anna 78, verwitwet, allein lebend. Ihr Gedächtnis lässt langsam nach, und selbst einfache Dinge wie das Sortieren ihrer Medikamente oder das Schreiben von Briefen fallen ihr schwer. Sie schafft vieles noch selbst, aber sie kann Unterstützung bei der Haushaltsführung oder Alltagsorganisation gut gebrauchen. Pflegegrad I gibt ihr ein Stück Sicherheit zurück: Durch den monatlichen Entlastungsbetrag von 131 € kann sie sich zweimal pro Woche eine Haushaltshilfe leisten, die putzt und einkauft. So bleibt Anna in ihrer vertrauten Umgebung mobil und selbstbestimmt.
Oder Jörg, Schlaganfall mit Ende 50. Halbseitige Lähmung. Er erhält Pflegehilfsmittel wie rutschfeste Matten oder Haltegriffe, zur Sturzprävention. Zudem kann er den Entlastungsbetrag nutzen, um sich regelmäßige Hilfe im Haushalt zu leisten. Auch er kann durch den Pflegegrad I weiterhin in der eigenen Wohnung leben.
So wird es vielen der über 800.000 Menschen in Deutschland gehen mit Pflegegrad I. Sie finanzieren damit auch Nachbarschaftshilfe und ehrenamtliche Unterstützung. Der Pflegegrad I fördert niedrigschwellige Hilfen meist im sozialen Nahraum. Er greift bevor professionelle ambulante oder stationäre Pflege nötig sind. Der Pflegegrad I ist damit auch eine Investition in Nachbarschaften und das Ehrenamt. Der Entlastungsbetrag fördert die sinnvolle Mischung aus Familie, Zivilgesellschaft und professionellen Diensten zur Absicherung eines guten Lebens auch bei beginnendem Unterstützungsbedarf.
Und er unterstützt damit den größten Pflegedienst der Republik: die pflegenden Angehörigen. Meist Frauen. Die, oft ignoriert, unfassbares leisten. vielen Dank dafür!
Der Pflegegrad I sichert nicht nur Eigenständigkeit, sondern er verhindert und verzögert auch stärkere Pflegebedürftigkeit. Ja, verehrte Finanzpolitiker der CDU, er spart letztlich Geld, weil er Pflegebedarf reduziert. Wer leichtfertig die Abschaffung dieser Leistung fordert, nur weil dessen finanzielle Größenordnung so in etwa die bestehende Finanzierungslücke der Pflegeversicherung trifft, gestaltet Politik einzig mit dem Rechenschieber und gänzlich ohne Sachverstand.
Von der Streichung der Förderung von Zahnbehandlung einmal ganz zu schweigen. Dieses Instrument aus dem Giftschrank der Sozialreformer des Kapitals hatte ich wirklich für historische überkommen gehalten. Den Menschen ihre Armut am Gesicht ablesen zu können, klingt nach Romanen von Charles Dickens. Und anscheinend nach dem CDU Wirtschaftsflügel. Es mag plausibel klingen, Zahnbehandlung gänzlich in die Eigenverantwortung des Einzelnen zu legen, weil Zahngesundheit vom eigenen Verhalten abhängig scheint. Aber dieser Eindruck trügt. Natürlich hängt die Zahngesundheit auch von unsere Zahnpflege ab. Unserem Ernährungsverhalten. Daher haben wir ja auch schon hohe Eigenbeteiligungen bei den Behandlungskosten. Aber wie bei allen Krankheiten gibt es eben auch genetische Veranlagungen, die zu schlechten Zähnen führen. Und darüber hinaus fehlt auch bei dieser Idee gänzlich der Sachverstand. Jeder Kardiologe fragt heute bei Herzproblemen auch mit als erstes nach dem Zahnstatus. Weil schlechte Zahngesundheit sich eben nicht nur optisch auswirkt, sondern dramatisch weitergehende Gesundheitsprobleme verursachen kann.
Dieser missgünstige Blick nach Unten, diese Frage, wem wir noch etwas nicht zugestehen wollen, wer noch unsere Solidarität nicht verdient. Davor gruselt es mich wirklich. Es scheint ja gerade in den Reihen der CDU viele Menschen zu geben, die in Sachen Herzensbildung Analphabeten sind und geradezu lustvoll nach unten treten.
Dabei steht eines ja vollkommen außer Frage. Natürlich braucht es grundlegende Reformen unseres Sozialstaates. Natürlich ist die demographische Entwicklung für unsere Sozialversicherungssysteme pures Gift. Natürlich kommt ein Umlageverfahren wie die Rente an seine Grenzen, wenn es immer weniger Erwerbstätige und immer mehr Renter*innen gibt. Dann droht es zu kollabieren wie ein Schnellballsystem.
Ein zentraler Vorschlag dies zu kurieren liegt seit vielen Jahren auf dem Tisch. Das Prinzip Bürgerversicherung. Statt Leistungskürzungen bei den Schwächsten, Einbeziehung der Gutverdienenden. Beamte, Abgeordnete, Spitzenverdiener und Eigenständige können unsere Sozialversicherung ein ganzes Stück absichern. Im Frühjahr war dies noch ein Anliegen von Bärbel Bas die Beamten in die Rentenversicherung zu integrieren. Nach einem ersten Aufschlag habe ich dazu leider nichts mehr gehört. Schade. Dabei ist das Prinzip Bürgerversicherung der Königsweg die Einnahmesituation der Versicherungssysteme auf neue tragfähige Füße zu stellen. Es ist ja im Grunde widersinnig gerade die am besten verdienende Gruppe aus dem Solidarverband auszuklammern wie wir es heute machen. Es gilt sie schnellstmöglich einzubinden. Bis dahin müssen wir dringend über die Beitragsbemessungsgrenze reden. Die Ausweitung der Beitragspflicht auch auf höhere Einkommen scheint mir einfach sehr einleuchtend, wenn wir eine finanzielle Schieflage haben.
Die Überführung von Versicherungsleistungen in das Steuersystem und damit ihre Herauslösung aus der Beitragsfinanzierung kann ich mir für einige Fälle auch gut vorstellen. Da ist deshalb grundsätzlich eine gute Idee, weil die Einkommenssteuer im Gegensatz zu Beiträgen progressiv angelegt ist und starke Schultern eben mehr tragen.
Sozialleistungen über Steuern zu finanzieren kann also an sich schon eine soziale Maßnahme sein. Sei es die Finanzierung der Krankenversicherung für Menschen im Bürgergeldbezug. Oder auch die dringend nötige Rückführung der Coronakosten in die Pflegeversicherung.
Ja, eine Sozialstaatsreform ist dringend nötig. Mit uns Grünen wird es aber keinen schlichten Abbau von Sozialleistungen geben. Auch kein schlichter Ausbau des Sozialstaats ist die Lösung. Weder Weniger noch Mehr, sondern Anders.
Anders im Sinne Bürgerversicherung. Anders indem wir Leistungen unbürokratisch zusammenführen – Ja die Kindergrundsicherung ist unter der Ampel vorerst gescheitert – aber dennoch glaube ich smarte Lösungen die Leistungen wie Kinderzuschlag, Wohngeld, Kindergeld zusammenbinden und komplett digitalisieren, können uns erhebliche Verwaltungskosten sparen. Hier liegt der Sozialstaat von Morgen.
Danke.