Zusammenfassung:
Frauen und Mädchen mit Behinderung erleben fast doppelt so häufig Gewalt wie nichtbehinderte Frauen – und werden dennoch systematisch übersehen und unzureichend geschützt. Besonders gravierend ist die Gewalt in Pflege- und Betreuungseinrichtungen, wo Abhängigkeiten schamlos ausgenutzt werden. Wir kritisieren, dass die Istanbul-Konvention und die UN-Behindertenrechtskonvention in Sachsen-Anhalt bisher nicht wirksam umgesetzt werden. Nur drei Frauenhäuser im Land sind barrierefrei – das ist untragbar. Es braucht einen grundlegenden Ausbau barrierefreier Schutzräume, aufsuchende Beratung in allen Regionen sowie endlich die Einrichtung der lange angekündigten Fachstelle für inklusive Gewaltprävention. Schutz vor Gewalt ist kein Privileg, sondern ein Recht – und es darf nicht länger verschleppt werden.
Sehr geehrte Damen und Herren,
es ist viel zu oft ein ungehörtes Leiden. Ein ungesehenes Leiden. Und leider auch ein ignoriertes Leiden. Frauen und Mädchen mit Behinderung sind in einem besonderen Ausmaß von Gewalt betroffen. Und sie sind leider auch in einem besonderen Ausmaß ungeschützt gegenüber dieser Gewalt.
Denn Frauen und Mädchen mit Behinderung erleben fast doppelt so oft Gewalt wie Frauen und Mädchen ohne Behinderung. Und das überall: in ihrem Zuhause, in der Öffentlichkeit und besonders perfide – in den Einrichtungen der Behindertenhilfe und Pflege, die ihnen eigentlich Schutz und Unterstützung bieten sollten.
Und die Täter? Das sind zu 97 Prozent Männer. Männer – meistens aus dem direkten Umfeld der Frauen und Mädchen: Väter, Stiefväter, Brüder, Onkel, Cousins, Partner, Pfleger, Betreuer, Taxifahrer, Anleiter in der Werkstatt oder Mitbewohner in den Pflegeeinrichtungen.
Frauen und Mädchen mit Behinderung befinden sich viel zu oft in einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis zu diesen Männern. Sowohl emotional, als auch körperlich. Diese besondere Nähe macht es den Männern einfach, Grenzen zu überschreiten. Zu verletzen. Zu missbrauchen. Zu vergewaltigen.
Gleichzeitig ist es für Frauen und Mädchen mit Behinderungen, die in einer solchen Abhängigkeit aufwachsen, noch viel schwerer, Grenzen und Bedürfnisse auszudrücken und durchzusetzen. Und sich bei erlebter Gewalt Hilfe zu suchen. Und selbst wenn sie sich Hilfe suchen, bleibt dies viel zu oft unerkannt.
Die körperlichen und psychischen Folgen der Gewalterlebnisse werden viel zu selten als solche identifiziert. Und stattdessen werden die Folgen der Gewalt: Phobien, Ängste, selbstverletztendes Verhalten oder Schmerzen ohne organische Ursachen auf die Behinderung geschoben. Die eigentliche Ursache, die erlebte Gewalt, wird dadurch verkannt oder relativiert. Und Frauen mit geistiger Behinderung machen dabei noch dazu die Erfahrung, dass ihnen nicht geglaubt wird.
Frauen und Mädchen mit Behinderung brauchen deswegen besonderen Schutz, weil sie besonders betroffen sind. Nein, sie brauchen es nicht nur – ihnen steht dieser besondere Schutz zu. Sie MÜSSEN besser geschützt werden. Sie haben das RECHT darauf, ohne die Angst vor und ohne Erfahrung von Gewalt leben zu können. Wir sind hier in Sachsen-Anhalt – wie überall in Deutschland – verpflichtet, die hier lebenden Frauen und Mädchen mit Behinderung vor Gewalt zu schützen. Durch die Istanbul Konvention und durch die UN-Behindertenrechtskonvention. Und durch Menschlichkeit.
Und Stand jetzt bleibt die Pflicht unerfüllt. Nur drei Frauenschutzhäuser in Sachsen-Anhalt haben barrierefreie Zugänge und Zimmer. Ein Frauenhaus hat einen barrierearmen Zugang, ein weiteres Frauenhaus Sichtblenden und Handlauf für Frauen mit Sehbeeinträchtigung. Und ich sag klipp und klar. Das reicht nicht. Das reicht meilenweit nicht. Jedes einzelne Frauenhaus in Sachsen-Anhalt muss barrierefrei zugänglich sein.
Doch der Mangel im Hilfssystem beginnt schon vorher. Betroffenen fehlt der Zugang zu Informationen und Beschwerdewegen. Beratungsangebote bleiben viel zu oft unbekannt. Viel zu selten können die betroffenen Frauen und Mädchen die ambulanten Beratungsangebote wahrnehmen. Durch fehlende barrierefreie Zugänge und zu unverständliche Informationen. Deswegen braucht es Hilfs- und Beratungsangebote, die zu den Frauen und Mädchen kommen, sie aufsuchen. Und zwar in jedem Landkreis, in jeder kreisfreien Stadt.
Gleichzeitig muss endlich die Fach- und Koordinierungsstelle für inklusive Gewaltprävention zum Schutz von Frauen und Mädchen mit Behinderungen, welche im Landesaktionsplan vorgesehen ist, endlich eingerichtet werden. Das wird seit 2020 diskutiert. Warum dauert es in Sachsen-Anhalt immer so lange, bis endlich mal was umgesetzt wird?
Das Thema Schutz von Frauen und Mädchen mit Behinderung vor Gewalt muss endlich angegangen werden. Die betroffenen Frauen und Mädchen sind besonders vulnerabel. Sie benötigen deswegen besonderen Schutz. Die Istanbul Konvention muss in Sachsen-Anhalt vollumfänglich umgesetzt werden – auch und besonders beim Schutz von Frauen und Mädchen mit Behinderung von Gewalt.
Wir stimmen dem Antrag zu. Vielen Dank.