Rede

Stadtbild ist Gesellschaftsbild – Grüne stellen sich gegen rechte Ausgrenzungspolitik

Zusammenfassung:
Mit der sogenannten Stadtbild-Debatte befeuert Friedrich Merz eine gefährliche Rhetorik, die Zugehörigkeit zu Deutschland an Äußerlichkeiten festmacht – und damit Millionen Menschen ausschließt. Wir kontern klar: Zugehörigkeit ist kein Erbrecht, sondern eine Frage der Haltung. Wer hier lebt, Verantwortung übernimmt und Mitmenschlichkeit lebt, gehört dazu – ob mit Kopftuch, Migrationsgeschichte oder anderem Nachnamen. Die Reaktion auf Merz’ sexistische „Töchter“-Aussage zeigt: Frauen lassen sich nicht länger als Projektionsfläche für rassistische Angstpolitik instrumentalisieren. Stattdessen braucht es echte Sicherheit, Gleichstellung und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Mit einem 5-Punkte-Plan für ein solidarisches Stadtbild fordern wir Grüne massive Investitionen in kommunale Infrastruktur, soziale Begegnungsorte, konsequenten Schutz vor Gewalt, faire Mieten und Sicherheit durch Aufklärung, Prävention und Strafverfolgung. Denn unsere Städte gehören allen – nicht einigen wenigen. Vielfalt ist kein Problem. Sie ist unsere Stärke.


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Sehr geehrte Damen und Herren,

 „Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen werde.“ – Das sind Worte des Eides, den jede Deutsche Bundeskanzlerin, jeder Deutscher Bundeskanzler bei Amtsantritt ablegt.

„Dem deutschen Volke“ – diese Worte finden sich nicht nur im Amtseid, sie stehen auch über dem Westportal des Deutschen Bundestages. Ich denke da haben sie alle ein Bild vor Augen. Der Amtseid ist keine bloße Rhetorik. Die Inschrift kein architektonischer Schmuck. Sie sind staatspolitischer Auftrag und stellen eine grundlegende Frage:
Wer ist eigentlich gemeint, wenn von „dem deutschen Volk“ die Rede ist?

Diese Frage, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird im Moment einmal wieder schärfer gestellt und dies nicht zufällig. Denn wenn Friedrich Merz öffentlich darüber spricht, dass sich das „Stadtbild“ verändere, und daraus ableitet, dies sei ein Problem, dann schwingt in dieser Bemerkung ein gefährlicher Subtext mit, der sich auf genau diese Frage bezieht: Wer gehört eigentlich dazu?

Merz legt mit dieser Bemerkung nahe, dass Zugehörigkeit sichtbar, äußerlich, vielleicht sogar erblich sei. Und mit dieser Andeutung erreicht er etwas: Er bringt viele Menschen in Deutschland dazu, sich zu fragen: Bin ich eigentlich noch mitgemeint?
Zu wem genau sagt Friedrich Merz eigentlich: „Nicht mein Volk“?

Diese Stadtbild-Äußerung mag auf den ersten Blick beiläufig wirken, in Wahrheit ist sie höchst fahrlässig. Denn Zugehörigkeit ist keine Nebensächlichkeit. Sie ist die Grundfrage unserer Demokratie. Wer Zugehörigkeit über das Stadtbild verhandelt, meint in Wahrheit das Erscheinungsbild von Menschen. Und wer Zugehörigkeit phänotypisch – also über Hautfarbe, Haarstruktur, Kopftuch oder Nachnamen – zu bestimmen glaubt, der bewegt sich gefährlich nah an völkischen und ethno-kulturell homogenen Vorstellungen. Da ist dann auch Chauvinismus und Blut und Boden Romantik nicht mehr weit.

Doch Friedrich Merz hat dieser ohnehin problematischen Rhetorik noch eins draufgesetzt, als er sinngemäß sagte: Fragen Sie mal Ihre Töchter.“

Dieses patriarchale „Fragen Sie Ihre Töchter“ setzt dem latent Völkischen auch noch die sexistische Krone auf. Denn was schwingt darin mit?
Die Vorstellung vom „Fremden“ als Bedrohung „unserer Frauen“. Die Frau als Besitz, als Schutzobjekt männlicher Herrschaft, nicht als eigenständiges, freies Subjekt. Mich gruselt das.
Denn wer so redet, blendet die Realität völlig aus: die tausendfachen Anfeindungen, denen Frauen mit Kopftuch oder People of Color täglich ausgesetzt sind – und zwar nicht durch „fremde Männer“, sondern durch vermeintlich deutsche, selbsternannte Beschützer der abendländischen Kultur. Denn auch sie fühlen sich unsicher, immer unsicherer im Stadtbild: die muslimische Frau, wenn Männer in Springerstiefeln in die Straßenbahn steigen. Der dunkelhäutige Jugendliche, wenn ihm angetrunkene Fußballfans mit Deutschlandfahne auf dem Rücken entgegenkommen. Das homosexuelle Paar, das Hand in Hand über den Dorfplatz schlendert. Und ja auch die Person mit Kippa, die durch Neukölln spaziert.
Oder die Frau, die plötzlich ihren Ex-Partner vor der Tür stehen sieht, von dem sie sich im Streit getrennt hat –die Femizide alle drei Tage dabei im Hinterkopf.  Mit vermeintlich deutschen Männern als Täter.

Und deshalb war die Reaktion vieler Frauen auf die Merz-Aussage so wichtig. Über 50 prominente Frauen – Journalistinnen, Wissenschaftlerinnen, Künstlerinnen, Aktivistinnen – haben in einem offenen Brief geschrieben: „Wir sind die Töchter.“ Und sie haben gesagt:
Wir wollen über die Sicherheit unsere Töchter sprechen – aber ernsthaft. Nicht als Deckmantel für rassistische Narrative.

Sie fordern,
dass endlich konsequent gegen sexualisierte und häusliche Gewalt vorgegangen wird,
dass Frauenhäuser ausreichend finanziert sind,
dass Femizide als eigener Straftatbestand anerkannt werden,
dass es wirksamen Schutz vor digitaler Gewalt gibt,
dass Abtreibungen entkriminalisiert werden

und echte finanzielle Unabhängigkeit für Frauen normal wird.

Und ich sage hier ganz deutlich:
Wir Grüne stehen ohne Wenn und Aber hinter all diesen Forderungen. Wir tragen sie seit Jahren in die Parlamente. In die Haushaltsverhandlungen, in Gesetzesinitiativen, in den Alltag politischer Arbeit. Denn wer Gleichstellung ernst meint, muss Frauen wirklich schützen und sie nicht als Projektionsfläche für Angstpolitik instrumentalisieren.

Also wer ist gemeint mit dem Begriff „Dem deutschen Volke“?

Im humanitären Sinne: Wer hier ist, ist relevant. Es gibt keine illegalen Menschen. Jeder Mensch, der auf dem Boden der Bundesrepublik steht, ist Träger von Grundrechten – unabhängig von Herkunft oder Pass. Diese Rechte sind nicht erblich. Sie sind universell. Sie sind unveräußerlich. Das schließt Abschiebungen etwa von Straftätern natürlich nicht aus.

Aber wenn jetzt Menschen aus Syrien, die nach Jahren hier angekommen sind, hier arbeiten, ihre Kinder in die Schule schicken, Freundschaften schließen und bleiben wollen – dann sollen sie das tun. Dann gehören sie dazu. Nicht als „Gäste“, sondern als Nachbarinnen, Kollegen, Mitbürger. Oder als Augenärzte. Es ist dramatisch, wenn sie wegen des Alltagsrassismus unser Land wieder verlassen.

Wir brauchen diese Menschen hier auch für unser gutes Leben in Zukunft. Und da hilft nichts so wenig wie die einwanderunspolitiche Symbolpolitik der CDU. Einbürgerungen erschweren. Am liebsten Doppelpass abschaffen. Sobald keine Bomben im Herkunftsland mehr fallen, alle rausschmeißen. Das mag ja das konservative Gemüt kühlen. Aber es löst weder demografische Probleme, noch welche im Stadtbild oder in der Gesellschaft. Bitte gewöhnen Sie sich daran, dass etwa die Siegerin des diesjährigen bundesweiten Vorlesewettbewerbs an deutschen Schulen Aylan Ulucam heißt und die diesjährige Gewinnerin der deutsprachigen Poetry Meisterschaft Ayse Irem und sie überdies Kopftuch trägt. Für Merz würden beide wohl im Stadtbild stören. Aber das ist unser aller Deutschland im Jahr 2025. Get over it – liebe Konservativen.

Und wenn Friedrich Merz in Folgestatements dann auch noch Menschen in der dritten oder vierten Generation mit Migrationsgeschichte meint ansprechen zu müssen als gesonderte Gruppe, dann wird es vollends absurd. Wann, bitte, gehört man denn unverrückbar dazu? Wann gehört man denn mal zum merz´schen „wir“? Nur mit einem sauerländischen Ahnenstamm bis ins 17. Jahrhundert? 

Zugehörigkeit bemisst sich nicht an der Herkunft, sondern an der Haltung.
An der Entscheidung, hier Verantwortung zu übernehmen – für sich, für andere, für dieses Land. Die sogenannte Stadtbilddebatte ist keine Nebensächlichkeit. Sie ist eine Grundsatzdebatte. Denn es geht darum, wem unsere Städte gehören – und damit auch, wem dieses Land gehört. Wir Grüne sagen: Eine Stadt gehört nicht einigen, sie gehört allen die dort leben. Wir wollen Städte, in denen niemand das Gefühl hat, fehl am Platz zu sein. Städte, in denen Vielfalt sichtbar ist – nicht als Störung, sondern als Stärke. 

Aber ja, natürlich gibt es in jeder Stadt Ecken, in denen man sich unwohl fühlt, in denen Probleme offensichtlich sind, wo man nicht so gern hin- oder langgeht. Wo man sich auch fürchtet. Und die Ursache für all das sind meistens Armut und soziale  Deprivation. Und deshalb haben Grüne einen 5-Punkte-Plan für ein solidarisches Stadtbild vorgelegt mit konkreten Schritten, wie Städte tatsächlich sicherer und schöner werden können.

Erstens: Endlich die Finanznot der Kommunen beenden. Eine Stadt, die dauerhaft unterfinanziert ist, kann ihre Aufgaben nicht erfüllen. Nur handlungsfähige Kommunen können überhaupt in saubere Parks, intakte Straßen oder offene Jugendeinrichtungen investieren. 

Zweitens: Die soziale Infrastruktur sichern. Es sind die Orte der Begegnung wie Bibliotheken und Theater, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken. Wo solche Angebote bestehen und niemand auf sich allein gestellt bleibt, hat Ausgrenzung keinen Platz. 

Drittens: Sicherheit für alle. Jeder Mensch soll sich auf unseren Straßen und Plätzen sicher fühlen können. Deshalb setzen wir auf Prävention und bekämpfen entschlossen die organisierte Kriminalität. Statt symbolischer Panik-Politik gilt es echten Schutz zu gewährleisten: mehr Polizei-Präsenz, wirksame Strafverfolgung und Sozialarbeit, die Kriminalität gar nicht erst entstehen lässt.

Viertens: Schutz von Frauen im öffentlichen Raum und zu Hause. Für uns sind Frauen nicht bloß „Töchter“ , die man in Debatten als Vorwand benutzt, sondern Bürgerinnen mit einem Anspruch auf echte Sicherheit. Wir sorgen für gut beleuchtete Wege, für genug Frauenhausplätze und für konsequentes Vorgehen gegen jede Form von Gewalt an Frauen – damit keine Frau sich fürchten muss, weder auf dem Heimweg noch in den eigenen vier Wänden. Und an dieser Stelle sehr deutlich: wer von Töchtern spricht, darf vom Catcalling Verbot nicht schweigen. 

Fünftens: Mietwucher bekämpfen, Leerstand verhindern, lebenswerte Innenstädte sichern. Es darf nicht länger sein, dass exorbitante Mieten Familien aus ihren Wohnungen verdrängen, während Investoren Häuser absichtlich leer stehen lassen. Wir schaffen wieder Wohnraum zum Leben statt Spekulationsobjekten, damit unsere Innenstädte lebendig bleiben. Wohngemeinnützigkeit, Mietendeckel, Sozialbindung sind dafür die Schlagwörter. 

Sehr geehrte Damen und Herren,

das Stadtbild ist immer auch ein Gesellschaftsbild. Und wir Grüne wollen eines, das offen, gerecht und solidarisch ist. Heimat entsteht dort, wo Menschen leben können, ohne sich erklären zu müssen. Und genau dafür stehen wir.

Vielen Dank.