Sehr geehrte Damen und Herren,
wir schreiben das Jahr 2025. Es ist 2025 und Frauen und Ärzt*innen werden in Deutschland seit 1871 und immer noch kriminalisiert. Sie werden für einen medizinischen Eingriff kriminalisiert. Sie werden dafür kriminalisiert, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen. Dass das einem modernen und zivilisierten Deutschland so möglich ist, das ist wirklich ein Skandal.
Es ist gemeinhin bekannt, dass das hier in dieser Region zwischendurch schon mal anders geregelt war. In der DDR gab es ab 1972 die Fristenregelung. Damit konnten Frauen in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten ohne die Angabe von Gründen einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen. Mit der Wiedervereinigung verloren wir Ostfrauen das Recht auf Selbstbestimmung über unseren Körper bei einer ungewollten Schwangerschaft. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin froh, dass es die Wiedervereinigung gab und wir heute in einem freien Land leben. Aber uns Ostfrauen wurde eben auch ein Stück unserer Freiheit genommen und das muss man auch so benennen.
Dennoch profitieren wir auch heute noch von den damaligen liberalen Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch in der DDR. Denn viele der älteren praktizierenden Frauenärzt*innen wurden in der DDR ausgebildet und haben damit die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen in ihrer Ausbildung als selbstverständlichen Teil von Frauengesundheit erlernt. Dass das heute nicht immer so ist, das beschreiben Medizinstudent*innen an unseren beiden Universitäten, die in ihrer Not Gruppen wie die Medical Students for Choice gegründet haben, um selbst Workshops zum Erlernen des Schwangerschaftsabbruchs durchzuführen. Sie berichten, dass im Studium der Schwangerschaftsabbruch nur unzureichend thematisiert wird. Und es kaum Plätze in der Fachärzt*innenausbildung gibt in Kliniken und Praxen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen.
Das sind Student*innen und angehende Ärzt*innen, die aus Überzeugung Frauen in Not, ungewollt Schwangeren helfen wollen, einen sicheren Schwangerschaftsabbruch zu haben. Und sie bekommen gar keine Möglichkeit, das zu machen, weil andere Ärzt*innen aufgrund der rechtlichen Regelung ablehnen dürfen, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen und auszubilden. Das ist doch wirklich absurd, wenn man darüber nachdenkt. Gibt es überhaupt einen anderen medizinischen Eingriff, den Ärzt*innen aus moralischen Gründen verweigern dürfen? Mir als Krankenschwester ist kein anderer bekannt.
Und nun gehen immer mehr Ärzt*innen in Sachsen-Anhalt, die bislang Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt haben, in Rente. Allein zwischen 2017 und 2023 sank die Zahl der Ärzt:innen, die bei uns Schwangerschaftsabbrüche durchführen dürfen von 40 auf 30.
In der letzten Woche wurde die ELSA-Studie veröffentlicht. Eine noch vom ehemaligen CDU-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn in Auftrag gegebene Studie, die die Erfahrungen und Lebenslagen ungewollt Schwangerer untersucht hat. Es ist schon etwas absurd. Damals hatte Jens Spahn die Studie im Auftrag geben, um weitere Diskussionen um die gesetzliche Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen zu unterbinden oder wenigstens zu verzögern. Jetzt attestiert diese Studie genau das, was die Partei von Jens Spahn mit aller Macht verhindern will: Dass die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen den Zugang und die Versorgung zu diesem medizinischen Eingriff negativ beeinflusst. Und dass die Forschenden der Studie empfehlen, den Schwangerschaftsabbruch zu legalisieren. Wäre das Thema nicht so ernst, ich würde laut über diese Ironie lachen. Aber ehrlich gesagt ist mir bei diesem Thema und dem Unrecht, das ungewollt Schwangere und Ärzt*innen erleben, eher zum Schreien zu Mute.
Doch dazu später mehr. Kommen wir erst mal zum Inhalt der Studie. Das sind die Fakten:
83,2 Prozent der ungewollt schwangeren Frauen erleben Vorurteile und Vorbehalte, wenn sie einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen wollen. Das beeinflusst die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden der Frauen negativ. Ebenfalls vermindert das die Bereitschaft der Frauen, sich Informationen zum Schwangerschaftsabbruch zu suchen. Übrigens sagen über 90 Prozent der ungewollt schwangeren Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch durchgeführt haben, dass es die richtige Entscheidung war. Genauso wie über 90 Prozent, die das Kind dann doch ausgetragen haben, sagen, dass die Entscheidung richtig war. Ein großes Zeichen dafür, dass Frauen sehr wohl in der Lage sind, für sich selbst abzuwägen, ob sie ein Kind austragen wollen oder nicht.
Die Studie hat ebenfalls festgestellt, dass die ungewollt Schwangeren mit einer Vielzahl an Hürden beim Zugang zu medizinischer Versorgung zu kämpfen haben. Es gibt finanzielle Barrieren, Schwierigkeiten bei der regionalen Erreichbarkeit, sie erleben Zeitdruck und haben Probleme bei der Organisation des Abbruchs. Auf dem Weg zum Schwangerschaftsabbruch stießen 4 von 5 Frauen und damit die Mehrheit auf mindestens eine Barriere, jede dritte Frau sogar auf drei und mehr Barrieren.
In Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen gibt es Probleme bei barrierefreien und mehrsprachigen Informationsangeboten und trotz Abschaffung des so genannten Werbeverbotes im Paragrafen 219a informieren weiterhin nur wenige Praxen und Kliniken über Schwangerschaftsabbrüche.
Die befragten Ärzt*innen forderten in der Studie unter anderem, dass Schwangerschaftsabbrüche in der Weiterbildungsverordnung aufgenommen werden, mehr gesellschaftliche Akzeptanz für das Thema und eine intensivere fachliche Diskussion.
Zur Wahrheit gehört auch: Die Studie attestiert Sachsen-Anhalt im Bundesvergleich eine vergleichsweise gute Versorgung beim Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen. Und ehrlich, ich bin den Frauenärzt*innen hier im Land, die einen Schwangerschaftsabbruch durchführen, auch dankbar, dass sie das trotz der schwierigen rechtlichen Lage, den gesellschaftlich zurückrollenden Debatten und den Angriffen von fanatischen Lebensschützer*innen auf ihre Praxen, weiter tun. Doch viele dieser Frauenärzt*innen, die jetzt noch unsere gute Versorgung absichern, gehen eben bald in Rente. Nachwuchs kommt kaum nach, eben auch weil Schwangerschaftsabbrüche in der Ausbildung von Ärzt*innen aufgrund von Paragraf 218 kaum thematisiert werden. Die eigentliche Aussage ist also: Wir haben in Sachsen-Anhalt NOCH eine gute Versorgung. Und darauf können und dürfen wir uns nicht ausruhen.
Die Ursache und das Grundproblem von allen Schwierigkeiten, die Frauen beim Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch erleben, ist der Paragraf 218 Strafgesetzbuch. Mit diesem Paragrafen sind Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich Straftaten, bleiben aber unter bestimmten Voraussetzungen straffrei. Die Konsequenzen davon merken wir – auch in Sachsen-Anhalt. In der medizinischen Ausbildung und bei der Stigmatisierung von Ärzt*innen und Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen.
Die Forschenden der ELSA-Studie empfehlen, den Schwangerschaftsabbruch zu entkriminalisieren und zu liberalisieren. Sie empfehlen ebenfalls, die Beratungspflicht abzuschaffen und eine Kostenübernahme für Schwangerschaftsabbrüche zu regeln.
Ähnliches hatte auch schon das Gutachten der Expertinnenkommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin in ihrem Abschlussbericht vom 15. April 2024 empfohlen. Wie viele Gutachten, wie viele Studien braucht es noch, bis gehandelt wird?
Keine! Statt immer mehr Studien und Gutachten, die bestätigen, was wir schon lange wissen, müssen wir handeln! Deswegen fordern wir Grüne die Landesregierung auf, sich im Bundesrat für die Regelung des Schwangerschaftsabbruches außerhalb des Strafgesetzbuches einzusetzen. Und damit für die Gesundheit und das Wohlergehen von ungewollt Schwangeren in unserem Land zu kämpfen.
Was wir für Sachsen-Anhalt brauchen, ist die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, die Kostenübernahme von Schwangerschaftsabbrüchen und das Ende der Beratungspflicht hin zu einem Recht auf Beratung. Damit auch in Zukunft die Gesundheit von ungewollt schwangeren Frauen geschützt bleibt.
Leider ist es im Bundestag in der letzten Legislaturperiode gescheitert, den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuchs zu regeln. Aber im Interesse der Frauen und der ihnen helfenden Ärzt*innen bleibt die Forderung: Paragraf 218 muss weg. Wenn in der Bundesregierung die Initiative fehlt, um den Empfehlungen der Forschenden auch Veränderungen folgen zu lassen, müssen die Länder im Bundesrat aktiv werden
An die CDU hier im Haus. Ja, auch das ungeborene Leben verdient Schutz, deshalb sind Beratungsangebote wichtig, Unterstützung insbesondere für Schwangere in Not und Familien, soziale Sicherungssysteme. Aber ich wünschte, Sie hätten nur halb so viel Elan beim Einsatz für bereits geborene Kinder und Jugendliche und beim Einsatz für die Dinge, die WIRKLICH helfen bei der Entscheidung für Kinder, wie bei ihrem demonstrativen Kampf für den Schutz ungeborenen Lebens. Wenn Ihnen Kinder und Jugendliche auch nur zehn Prozent so wichtig wären, dann würden unsere Schulen nicht auseinanderfliegen, Schulsozialarbeiter*innen nicht alle paar Jahre um ihren Job bangen und Erzieher*innen würden nicht aus Kitas entlassen werden, wegen eines schlechten Personalschlüssels. Dann wären Kinderrechte schon lange im Grundgesetz und die Kinderarmut wäre in Sachsen-Anhalt nicht so unfassbar hoch. Aber Ihnen ist ja wichtiger, die Gesundheit und das Selbstbestimmungsrecht von Frauen einzuschränken.
Über die gesichert rechtsextreme Partei hier im Landtag, ihr Familien- und Frauenbild, gern demonstriert in schlechten KI-Grafiken, wo zahlreiche blondlockige Kinder mit beängstigend vielen oder wenigen Gliedmaßen ihre gleichaussehenden Eltern anhimmeln, braucht man an dieser Stelle nichts zu sagen. Die frauenfeindliche AfD gehört endlich verboten und dafür werden wir Grünen uns mit aller Kraft einsetzen.
Zum Abschluss noch mal: Weg mit Paragraf 218! Der Schwangerschaftsabbruch muss außerhalb des Strafgesetzbuches geregelt werden!
Vielen Dank.